Der christliche Materialismus

Dieser Ausdruck des Gründers des Opus Dei, fasst gemäß Msgr. André Mutien Léonard, Bischof von Namur (Belgien), treffend die Lehren des hl. Josefmaria zusammen. In einem so betitelten Artikel reflektiert er über das, was er die “unglaublichen Gewandtheit, mit der Msgr. Escrivá vom Göttlichen zum Menschlichen und vom Menschlichen zum Göttlichen wechselt” nennt.

Der “christliche Materialismus”, ein Ausdruck des Gründers des Opus Dei, fasst gemäß Msgr. André Mutien Léonard, Bischof von Namur (Belgien), treffend die Lehren des heiligen Josefmaria Escrivá zusammen. In einem so betitelten Artikel reflektiert er über das, was er die “unglaublichen Gewandtheit, mit der Msgr. Escrivá vom Göttlichen zum Menschlichen und vom Menschlichen zum Göttlichen wechselt” nennt.

In einer bemerkenswerten Homilie des Jahres 1967, die unter dem Titel Die Welt leidenschaftlich lieben publiziert wurde, hat Msgr. Escrivá den Ausdruck “christlicher Materialismus” verwendet und geprägt. Es scheint mir, dass dieses Konzept äussert treffend seine Botschaft zusammenfasst. Folgendes ist zu lesen: “Der echt christliche Geist, der ja die Auferstehung des Fleisches bekennt, hat sich zu allen Zeiten gegen eine falsche Spiritualisierung empört, ohne Furcht, deshalb als Materialismus verurteilt zu werden. Ja, es ist durchaus berechtigt, von einem christlichen Materialismus zu sprechen, der sich mutig allen geistverneinenden Materialismen entgegenstellt. Was sind denn die Sakramente – Spuren der Menschwerdung, wie die Alten sagten – anderes als eine klare Offenbarung dieses Weges, den Gott gewollt hat, um uns zu heiligen und zum Himmel zu führen? (...)”.

Aber in welchem Sinn sind Innenleben und Verpflichtungen in der Welt miteinander zu vereinbaren? Aus seinen Schriften ist zu entnehmen, dass Msgr. Escrivá jegliche Alternative oder Bewusstseinsspaltung, in der Art eines Doppellebens, das einerseits voll irdischer Kleinigkeiten und Beschäftigungen bestehen würde, bei denen Gott abwesend ist, und andererseits aus “heiligen” Einschüben, die wie Fluchtmomente gelebt werden, ausschliesst. Aber er weist auch jegliche Art von Vermischung des geistlichen Lebens mit der Anwesenheit in der Welt zurück, die von Reduktion (die Versuchung des übertriebenen Spiritualismus, der die christliche Heiligung als eine einzig das innere Leben und das Heil der Seele betreffende Wirklichkeit darstellt, wobei die säkularen Beschäftigungen in sich nicht ernst genommen werden) oder von Absorbierung (die Versuchung der Säkularisierung, die dazu neigt, das Verhältnis zu Christus oder zu den “christlichen Werten” mit rein menschlicher Sichtweise zu betrachten) charakterisiert sind.

Was jedoch im Gegensatz dazu bei Msgr. Escrivá auffällt, ist die Leichtigkeit, mit der er vom Göttlichen zum Menschlichen und vom Menschlichen zum Göttlichen wechselt, indem er das Gefühl einer ununterbrochenen Kontinuität vermittelt, und nicht etwa eine künstliche Verbindung zwischen dem einen und dem anderen an tausend Stellen erzwingt, was ich gerne mit Worten Hegels mit "das christliche Leben wie ein trauriges Gewissen oder auch wie ein schlechtes Gewissen gelebt " ausdrücken möchte.

Der christliche Materialismus des heiligen Josefmaria vereint auf glückliche Weise die gegenseitige Förderung beider Aspekte: das geistige Leben verlangt die säkulare Betätigung, und die Beschäftigung in der Welt verlangt die Vertiefung im geistlichen Leben. Oder, um es mit seinen eigenen Worten zu sagen, “um sehr übernatürlich zu sein, muss man auch sehr menschlich sein”.

Zu Recht führt Msgr. Escrivá die Verbindung des Göttlichen mit dem Menschlichen auf Christus zurück. Seit den ersten Jahrhunderten der Kirche war der katholische Glaube darum bemüht, die Wahrheiten über die Gottheit und die Menschheit in Christus zu vertiefen, um gegen verschiedene Irrlehren angehen zu können. Die Einheit in Christus darf weder als Übereinanderliegen oder als Teilung angesehen werden (Nestorianismus), noch als Vermischung der beiden, durch Reduktion der Menschheit auf seine Gottheit (Dozetismus und Monophysismus), oder durch Reduktion seiner Gottheit auf die Menschheit (Adoptionismus und Arianismus). Man findet hier die Kategorien wieder, die oben bezüglich der Botschaft von Msgr. Escrivá gebraucht wurden.

Die Einheit des Göttlichen und des Menschlichen in Christus darf aber auch nicht als eine reine Spannung zwischen den beiden angesehen werden, denn die katholische Christologie sieht darin vielmehr die gegenseitige Förderung des Menschlichen und des Göttlichen. Dies kommt in der Logik des Konzils von Chalcedon zum Ausdruck, für das die menschliche Natur und die göttliche Natur Jesu, ohne die eine von der anderen zu trennen, zu vermischen oder entgegenzusetzen, “in ihren jeweiligen Eigenschaften gesichert sind”. Es scheint mir, dass der christliche Materialismus von Msgr. Escrivá, der auf positive Art und Weise, ohne Trennung oder Vermischung, die höchste Spiritualität mit der Beschäftigung in der Welt des Allgewöhnlichsten verbindet, auf festem Grund steht, nämlich auf christologischen Fundamenten, die mit Sicherheit dauernde Früchte bringen.

Erschienen im Osservatore Romano, 6.10.2002