Der hl. Josefmaria und Pius XII.

Pius XII. hat nicht nur verschiedene Mitglieder das Werkes kennengelernt, sondern er betet seit 1943 namentlich für den Gründer und hat unter seinen Büchern ein Exemplar vom ‘Weg’.

1946. Die ersten liebevollen und ermutigenden Worte, die Escrivá in Rom hört, kommen von Msgr. Giovanni Battista Montini, einem Italiener aus Brescia. Es ist ein intelligenter und sensibler Mann, der seit dem Ende des Weltkrieges die heikle Aufgabe hat, die diplomatischen Beziehungen des Vatikan wieder zu beleben. Mehrere Jahre später wird er die Kirche unter dem Namen Paul VI. leiten.

Als fühle er, dass Pius XII. und der Gründer des Opus Dei früher oder später in beständiger Verbindung stehen werden, macht sich Montini sofort daran, dieses erste Treffen vorzubereiten, und zwar durch eine kleine menschliche Geste. Eines Tages, als er mit Salvador Canals und zwei anderen Mitgliedern des Opus Dei zusammen ist, bittet er sie um „irgendein Bild des Gründers, um es dem Papst zeigen zu können“. Einer von ihnen, Julián Urbistondo, fährt mit der Hand in die Innentasche seines Jacketts. Er holt seine Brieftasche heraus. Nach einer kurzen Suche zeigt er Montini ein kleines Foto des Vaters, das einen gezackten Rand hat. Einen Moment lang zweifelt er, ob es richtig ist, diese Fotografie in die Hände des Heilige Vater gelangen zu lassen, so, wie sie ist, ein bisschen vergilbt und von hinten beschrieben ... Montini kann ein erstauntes Lächeln nicht verbergen, als er die seltsame Widmung liest, die Escrivá auf den Bildrücken geschrieben hat: „Du Gauner, wie gehst du mit deinen Eltern um?“ (3)

Pius XII. hatte bereits zwei Mal Alvaro del Portillo empfangen; und außerdem die Juraprofessoren Orlandis und Canals; und den Wissenschaftler José María Albareda, dessen intellektuelles Kaliber den Papst überraschte. Jetzt steht die erste Audienz von Escrivá de Balaguer beim Papst an, und zwar recht bald: am 16. Juli. Pius XII. hat also nicht nur verschiedene Mitglieder das Werkes kennengelernt, sondern er betet seit 1943 namentlich für den Gründer und hat unter seinen Büchern ein Exemplar vom Weg. (4)

In dieser privaten Unterhaltung erklärt Escrivá dem Papst, was das Opus Dei ist und was es nicht ist. Und Piux XII. rät ihm, Kontakt mit denen aufzunehmen, die dabei sind, ein juristisches Dokument zu erarbeiten, das später die neue Apostolische Konstitution Provida Mater Ecclesia sein wird. (5) Es wird zur Grundlage der Säkularinstitute. So wird das Opus Dei wenigstens eine Art kanonischen Anker innerhalb der Kirche werfen können. Es ist keine glückliche Formel, denn das Opus Dei lebt keinen „Stand der Vollkommenheit“ und soll ihn auch nicht leben, wohingegen ihn die Säkularinstitute übernehmen. Aber es ist doch eine Art und Weise, die damals neuartige Tatsache einer Ganzhingabe der Laien zu sanktionieren, die im selben Stand, Beruf und Ort bleiben, den sie auch vorher in der Gesellschaft innehatten.

Mit dem decretum laudis, einer nach knapp drei Wochen erfolgten Approbation des Opus Dei durch eben diesen Pius XII., erreicht Escrivá die Anerkennung der allgemeinen Berufung zur Heiligkeit, die das Opus Dei für Männer wie für Frauen, für Priester wie für Laien verkündet: eine einzige Berufung, ohne Grade, ohne Unterschiede, ohne Stufen und Ranglisten.

Dafür brauchte er weder Abkürzungen noch privilegierte Wege: Josemaría Escrivá betet und lässt beten, studiert und lässt studieren, arbeitet und lässt arbeiten. Er klopft an die Türen, wo man ihn hören muss. Er wartet lange in Vorzimmern. Und er spricht immer mit der Kraft und der Demut dessen, der sich bemüht , etwas voranzutreiben, was nicht dem eigenen Ehrgeiz entspringt, sondern was ein von Gott gewollter und eingeforderter Auftrag ist. Diese Sicherheit, dass das Werk von Gott kommt, ist zweifellos, der Schlüssel zu seiner Überzeugungskraft.

Dennoch, die Konstitution Provida Mater Ecclesia ist, wie man später sehen wird, nicht der „Maßanzug“, um als Normalbürger, the ordinary people, über die Straßen dieser Welt, nel bel mezzo della strada, zu gehen, wie einer unter vielen. Daher bekräftigt Escrivá immer und überall ganz klar und mit der Hartnäckigkeit eines Aragoniers, dass er in der Warteschleife steht, dass er „zugesteht, ohne nachzugeben, mit dem Bestreben, wieder zu erlangen“. (6)

Jahre später wird er aufschreiben: „Das Opus Dei hat in der Kirche Gottes viele rechtliche und theologische Probleme aufgeworfen und gelöst – ich sage das voller Demut, denn die Demut ist die Wahrheit –, die einfach scheinen, wenn sie erst einmal eine Lösung gefunden haben; unter ihnen findet sich dasjenige, dass es nur eine Klasse gibt, auch wenn sie von Klerikern und Laien gemeinsam gebildet wird.“ (7)

Pius XII. sieht ein wunderbares Panorama vor sich: die Heiligkeit jedes Einzelnen und das persönliche Apostolat, das das Opus Dei auf der ganzen Welt ausstrahlen kann. Ihm ist auch der geistliche Tiefgang von Josemaría Escrivá und die göttliche Bedeutung seiner Gründung nicht verborgen geblieben, die er selbst endgültig am 16. Juni 1950 gutheißen wird. Kurze Zeit später gesteht der Papst kardinal Norman Gilroy aus Sydney in Australien, dass er von einem Besuch von Escrivá de Balaguer tief beeindruckt ist: „Er ist ein wirklicher Heiliger, ein von Gott für unsere Zeit gesandter Mann“ (é un vero santo, un uomo mandato da Dio per i nostri tempi) (8) Nichts lässt zu der Zeit die bitteren Stunden und die großen Härten erahnen, die Josemaría unter diesem Pontifikat wird erleiden müssen, ohne dass der Papst es gewollt hätte.

(...) Seine Verhandlungen in den vatikanischen Büros werden intensiv weiter geführt. Es ist ein juristisches Ringen, in dem versucht wird, alte kirchenrechtliche Mauern niederzureißen, um einen Weg für das Werk zu öffnen. Es ist nicht leicht. Manche Türangeln sind seit Jahrhunderten oxydiert. Die Formeln, die 1941 und 1943 erreicht wurden und die, die jetzt in Arbeit ist und die 1947 offiziell werden soll, sind die einzig möglichen und angebrachtesten Lösungen ... bzw. die am wenigsten unangebrachten. Aber „es gab keinen anderen Ausweg: Entweder man nahm alles an oder wir würden ohne Weg weitergehen. Wir sind wirklich die Nadel gewesen, damit man den Faden einfädeln konnte. Und die Erfahrung zeigt, dass diejenigen, die später um die Approbation als Säkularinstitute gebeten haben, ganz zufrieden sind und mit Freude selbst die Dinge annehmen, die mit unserer Säkularität nicht vereinbar sind – weil es eben ihr Weg ist. Jeden Tag wird klarer, dass die Nadel den Faden zurücklassen und selbst aus dem Gewebe genommen werden muss, das man jetzt Säkularinstitute nennt“. (11)

(...) Am 31. August kehrt Escrivá nach Madrid zurück. Er hat zwei wichtige Unterlagen bei sich: das Breve Cum societatis und den Brief Brevi sani. Beide loben die Ziele des Werkes. Und ein seltsames und sehr beachtenswertes persönliches Geschenk des Papstes: die vollständigen Reliquien von zwei jugendlichen christlichen Märtyrern, der hl. Mercuriana und des hl. Sympherus. Pius XII. zeigt dadurch, dass er die Ähnlichkeit zwischen den Mitgliedern des Opus Dei und den ersten Christen verstanden hat; dass der Ruf zur Heiligkeit kein Alter kennt, sondern vom Heiligen Geist angestoßen wird und mit der Taufe beginnt; und dass es im Werk Männer und Frauen gibt wie in jeder Familie und in jedem Teil des Volkes Gottes: zwei Körper, die getrennt und unterschieden sind, aber durch eine einzige und selbe Seele angetrieben werden.

(...) In Rom wird intensiv an der Endfassung der Konstitution Provida Mater Ecclesiagearbeitet. Viele Besucher kommen zur Wohnung in der Cittá Leonina. Die meisten von ihnen sind Kirchenmänner, die in verschiedenen Dikasterien und Kongregationen der Kurie arbeiten. Dennoch fühlt sich der Vater wie eine gespannte Feder. Man verliert zwar nicht eine Minute und näht auch nicht ohne Faden, aber Escrivá fühlt ein inneres Drängen, das ihm einen außerordentlichen Rhythmus auferlegt: Das Werk kann nicht im Schrittmaß der Menschen, sondern es muss „im Schrittmaß Gottes“ gehen. Am

6. Dezember schreibt er an die Mitglieder des Werkes in Madrid: „Alles läuft gut, aber viel zu langsam.“ (15)

Zwei Tage später empfängt Pius XII ihn erneut in Audienz. Am 16. desselben Monats gibt er in einem weiteren Brief nach Madrid folgende Anweisung: „Vergesst nicht, dass es in der Oktav der Muttergottes war, als die römische Lösung auftauchte.“ (16) Der Gründer hat erfahren dürfen, dass der Heilige Stuhl nicht nur bereit ist, dem Opus Dei so schnell wie möglich die Approbation zu geben, sondern dies geradezu wünscht. Diese Gelegenheit muss man daher ausnutzen, auch wenn es nur eine vorläufige Anerkennung ist. Die Verhandlungen gehen also weiter.

(...) Schon bald beginnen sie ein Haus zu suchen, das der endgültige Zentralsitz des Opus Dei werden soll. Montini und Tardini haben Escrivá vorgeschlagen, sich in der Nähe des Heiligen Stuhls niederzulassen: er solle ein Haus, und zwar „ein großzügig angelegtes Haus“ in Rom einrichten.

(...) Der Ratschlag von Montini und Tardini hat seinen guten Grund. Es ist angebracht, dass sie sich in der Nähe des Heiligen Stuhls niederlassen. Das hat mehrere Gründe. Einmal gilt es den rechtlichen Weg zu bahnen. Das Werk muss römisch werden, was nicht gleichzusetzen ist mit „vatikanisch werden“. Es heißt einfach, von Rom aus seinem genuin universalen Charakter gemäß Impulse zu setzen. Escrivá möchte, dass der Papst die Nähe eines liebenden Sohnes verspürt und mit dem Werk als einem säkularen apostolischen Instrument rechnen kann, „das der Kirche nur dienen will, ohne sich ihrer zu bedienen.

Auszug aus dem Buch von Pilar Urbano: El hombre de Villa Tevere: die römischen Jahre von Josemaría Escrivá, 1. Aufl. Edición Barcelona, 1995, Kapitel 3

ANMERKUNGEN

3. AGP, RHF T-21167, S. 1323-1324

4. Zeugnis von Encarnación Ortega Pardo (AGP, RHF T-05074)

5. Die Provida mater Ecclesia trägt das Datum vom 2. Februar 1947. Das Decretum laudis der kirchlichen Approbation des Opus Dei ist vom 24. Februar 1947; das heißt, nur drei Wochen, nachdem die neue Konstitution promulgiert wurde.

6. Brief 8.12.1949, Nr. 18

7. Brief 8.8.1956, Nr. 5

8. Zeugnis von Msgr. Thomas Muldoon, Titularbischof von Fessei, Weihbischof von Sydney (Australien) (AGP, RHF T-04261)

11. Brief 7.10.1950, Nr. 21 und 22

14. Mündliche Aussage von Encarnación Ortega Pardo gegenüber der Verfasserin

15. AGP, RHF, EF 461206-2

16. AGP, RHF, EF 461216-1