Die "aediculae"der Muttergottes

Als der heilige Josefmaria 1946 in die Ewige Stadt kam, machte es ihm große Freude zu sehen, daß ihre Straßen viele Darstellungen der Muttergottes aufweisen. Er fragte seine Mitbewohner immer wieder, ob sie sie gesehen hätten. Auch legte er ihnen ans Herz, sie überall zu entdecken, um Unserer Lieben Frau einige liebevolle Worte zu sagen.

Ikone der Salus Populi Romani

Als der heilige Josefmaria 1946 in die Ewige Stadt kam, machte es ihm große Freude zu sehen, daß ihre Straßen viele Darstellungen der Muttergottes aufweisen. Er fragte seine Mitbewohner immer wieder, ob sie sie gesehen hätten. Auch legte er ihnen ans Herz, sie überall zu entdecken, um Unserer Lieben Frau einige liebevolle Worte zu sagen.

Diese Gewohnheit, die er schon seit seiner Jugend hatte, beschreibt er in seinen persönlichen Aufzeichnungen: Heute Vormittag bin ich wie ein kleines Kind zur Gottesmutter zurückgekehrt und habe dem Bild an der Atocha-Straße, am Giebel des Hauses der Kongregation des heiligen Philipp Neri, meinem Gruß entboten. Ich war zunächst einfach vorübergegangen: Wie kann ein Sohn eine solche Gelegenheit versäumen, seiner Mutter seine Liebe zu bezeugen? Mutter, laß mich nie dem Kindsein entwachsen! (1)

Im historischen Zentrum Roms sind ungefähr fünfhundert edicole der Muttergottes verteilt. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts waren es fast dreitausend, aber viele von ihnen mußten den städtischen Umbauten weichen, die ab 1870 vorgenommen wurden. Das Wort „aediculum“ bezeichnet ein kleines Gehäuse – wie ein Tempelchen oder eine Vitrine –, das das Bild oder die Statue vor den Unbilden der Witterung schützt. Man weiß nicht, wann genau diese Darstellungen der Muttergottes an den Straßen zum ersten Mal angebracht wurden. Jedoch steht nach Meinung einiger Autoren die Verbreitung dieser Sitte in Zusammenhang mit einer der bei den Einwohnern der Stadt beliebtesten Darstellungen Mariens. Sie wird in der Kirche Santa Maria Maggiore verehrt und ist bekannt unter dem Namen Salus Populi Romani.

Einer alten Überlieferung zufolge verdankt dieses Bild seinen Namen einem Wunder, das 590 geschah. Damals wurde Rom von der Pest heimgesucht. Da trugen die Einwohner dieses Muttergottesbild in einer Prozession von Santa Maria Maggiore zum Petersdom, um ein Ende der Seuche zu erflehen. Auf der Höhe des Hadrian-Mausoleums erschien ein Engel, der ein Schwert in die Scheide steckte und so zu verstehen gab, daß das Übel auf die Fürsprache der Madonna ein Ende haben würde. Von diesem Augenblick an nannte man die Festung Castel Sant’Angelo. Und auf die Fassaden der Häuser, an denen die Prozession vorbeigezogen war, wurden als Dank Reproduktionen der Salus Populi Romani angebracht.

Im Mittelalter und in der Renaissance verbreitete sich diese Sitte, die Straßen mit Bilder oder Statuen zu Ehren Mariens zu verschönern. Die Erinnerung an manche von ihnen ist mit einem Wunder verknüpft. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein gab es zudem keine andere öffentliche Beleuchtung als die der Kerzen, die die Bürger vor der Muttergottes anzündeten. Sie dienten gleichermaßen als Orientierungspunkte für die Fußgänger. So erklärt es auch ein Studiosus der ars sacra gegen Ende des 19. Jahrhunderts: Die Dauerlichter, die die Gläubigen vor die Marienbilder stellen, sind gleichzeitig ein Zeichen der Verehrung und ein Licht, das den Reisenden leitet; dieser sieht in der Dunkelheit das erleuchtete Antlitz Mariens und so verirrt er sich nicht, weder auf den Wegen des Lebens noch auf denen der Stadt.

An der Fassade von Via di Villa Sacchetti, Nr. 36 befindet sich ein Bild Unserer Lieben Frau von Loreto, das auf Wunsch des heiligen Josemaría der römischen Tradition folgt, die Häuserfronten zu verschönern. Als dieser Teil des Gebäudes 1957 fertig wurde, wünschte der Gründer des Opus Dei, daß dort eine Madonnella im römischen Stil angebracht würde. Ein kleiner Vorsprung sollte das Aufstellen von Blumen und Kerzen ermöglichen. So würde jeder, der dort vorbeikam, den Schutz Mariens erflehen können. Auf der Piazza delle Cinque Lune gibt es eine edicola mit einer Tür, durch die man vom Inneren her Zugang zur Hausfront tat, wo sie angebracht ist. Der heilige Josefmaria hielt das für ein nützliches System, um die Reinigung und Instandhaltung des Bildes zu erleichtern. Also übernahm er die Idee. Die edicola ist ein Mosaik aus einem dauerhaften und widerstandsfähigen Material. Der Rahmen ist aus hellem Travertin aus Tivoli und bildet einen für die römischen Bauten besonderen Kontrast mit dem roten Verputz aus Puzzolane.

Unsere Liebe Frau von Loreto <br> an der Fassade von Via di Villa Sacchetti 36

In dieser und anderen Darstellungen verlieh der heilige Josefmaria seiner Liebe zu Maria sichtbaren Ausdruck. Für ihn war diese Art der Verehrung ein kindliches Bedürfnis.

Ein Blick auf die Welt, auf das Volk Gottes in diesem Monat Mai, der jetzt beginnt, genügt, und wir werden das Schauspiel der Andacht zu Maria gewahr, das in zahllosen Bräuchen seinen Ausdruck findet. Sie alle – alt oder neu – spiegeln dieselbe Liebe zur Gottesmutter wider.

Es macht Freude zu sehen, daß die Andacht zu Maria stets lebendig ist und die Herzen der Gläubigen anspornt, als domestici Dei zu handeln, als Glieder derselben Familie Gottes. (2)

Anmerkungen

1) Hl. Josemaría Escrivá, Persönliche Aufzeichnungen, zitiert in A. Vázquez de Prada, Der Gründer des Opus Dei, Bd. 1, S. 325

2) Christus begegnen, Nr. 139

Text und Fotos im Pdf-Format