Ehe und Familie in der Verkündigung des seligen [heiligen] Josemaría Escriva

Der damalige Bischof vom Münster, Reinhard Lettmann, äußerte sich 2002 zu diesem Thema, das gerade in diesem Jahr die Kirche besonders beschäftigt. "Beginnen wir mit einem Blick auf die Wirklichkeit von Ehe und Familie in unserer Gesellschaft."

Joseph Höffner gibt in seiner »Christlichen Gesellschaftslehre«, die in viele Sprachen übersetzt worden ist, eine Definition der Familie: »Die Familie ist die aus der Ehe, über die Gott seinen Fruchtbarkeitssegen ausgegossen hat, sich entfaltende, natürliche Lebensgemeinschaft der Eltern mit ihren Kindern und zugleich die Zelle der menschlichen Gemeinschaft.«1

Beginnen wir mit einem Blick auf die Wirklichkeit von Ehe und Familie in unserer Gesellschaft.

In der modernen Industriegesellschaft versteht sich die Familie als kleine häusliche Gemeinschaft der Eltern mit ihren Kindern, während in früheren Zeiten die Kernfamilie in eine größere Haus- und Generationengemeinschaft eingebunden war. In der Regel ist heute das Familienleben vom Erwerbsleben getrennt. Wenn die Kinder aus dem Hause sind, beträgt die Lebenserwartung der Eltern durchschnittlich noch mehrere Jahrzehnte. Die Berufstätigkeit der Eltern dauert nach dem Weggang der Kinder noch manche Jahre. Ihre wirtschaftliche Altersversorgung erfolgt – im Unterschied zu früher – nicht mehr durch die Kinder, sondern durch kollektive Sicherungssysteme. Teilweise oder ganz pflegebedürftige Eltern werden zwar in vielen Fällen noch von ihren Angehörigen betreut. Doch nimmt die Zahl der Familien ab, die dazu in der Lage sind, zumal die jüngeren Mitglieder selbst ganz oder halbtägig im Berufsleben stehen oder keine angemessene Betreuung und Pflege gewährleisten können.

Von Bedeutung für die Situation für Ehe und Familie ist die veränderte Rolle der Frau. Unter dem Einfluß des Christentums hat sich in der Geschichte ein Leitbild der Ehe entfaltet, dessen bestimmendes Element die gleiche Würde von Mann und Frau ist. Der Treuebund der Ehe setzt voraus, daß Mann und Frau als Person gleichwertig sind. Doch erst die Abkehr vom patriarchalischen Verständnis von Ehe und Familie sowie die sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen ermöglichten der Frau größere Eigenständigkeit, Unabhängigkeit und Teilnahme am wirtschaftlichen und sozialen Leben. Dadurch bringen beide Ehegatten wichtige Inhalte des sozialen und kulturellen Lebens in ihre Familie ein und nehmen in gemeinsamer Aufgabenverteilung an der Versorgung des Haushaltes und der Betreuung und Erziehung der Kinder teil. Allerdings nehmen derzeit noch mehr Mütter als Väter diese Aufgabe wahr. Oftmals tragen die Mütter auch dann den größten Anteil der familiären Aufgaben in Erziehung, Haushalt und Pflege, wenn sie selbst, wie die Väter, außerhalb des Hauses erwerbstätig sind.

Die personale Sicht der Ehe hat große Bedeutung für die Entscheidung der Eheleute über die Zahl der Kinder. Nach der Vorstellung der Eltern sollen Kinder möglichst »Wunschkinder« sein. Die Eltern möchten in der Lage sein, ihren Kindern Zuwendung und Geborgenheit, Pflege und Schutz sowie angemessene Erziehung und Ausbildung zu gewährleisten. So steht bei vielen hinter der Entscheidung zur kleinen Familie die Hochschätzung der Kinder in ihrem Eigenwert als Person.

Die Situation der Familie ist dadurch gekennzeichnet, daß die Familienmitglieder in viel stärkerem Maße als früher von der Gesellschaft mitgeprägt werden als von der Familie selbst. Die Familie als kleinste Lebensgemeinschaft ist zu einem Teilsystem der Gesellschaft geworden. Die einzelnen Familienmitglieder werden häufig von außerfamiliären Institutionen in Anspruch genommen. Kindergarten, Schule, Ausbildung und Weiterbildung, Erwerbstätigkeit und Beruf sowie kulturelle, soziale und politische Verpflichtungen können das familiäre Leben entlasten. Sie können es aber auch belasten, indem sie Familien sprengen.

Hinzu kommt, daß die Erfahrung der Eltern in manchen Bereichen weniger Bedeutung hat als früher. Das erworbene Wissen um die Fähigkeit der Jugendlichen im Umgang mit der sich ständig verändernden Technik übersteigt oft das Können der älteren Generation. Die Jüngeren haben ihre eigene Erlebniswelt, in der sie eigene Wertvorstellungen und Formen von Lebensstil gewinnen, die oft von der Auffassung der Eltern sehr verschieden sind, so daß es zu Sprachlosigkeit oder zu Konflikten im Umgang miteinander kommt.

Für manche Gesellschaftstheoretiker ist die Familie in der heutigen Form ein »Ort repressiver Autorität« und der »Ursprung gesellschaftlich-staatlicher Herrschaftsstrukturen«. Da eine emanzipatorische Erziehung von der Kleinfamilie nicht geleistet werden könne, müßten sich mehrere Familien zu Wohngemeinschaften zusammenschließen. In ihnen könne die Betreuung und Erziehung von Kindern abwechselnd vom einen oder anderen Erwachsenen vorgenommen werden. Auf diese Weise seien auch die Eltern von der Sorge um den Haushalt entlastet und könnten einen Beruf ausüben.

Darüber hinaus wird die Auffassung vertreten, daß die in der Ehe begründete Familie nicht mehr die alleinige und unersetzbare Institution zur Weitergabe des Lebens und der Erziehung der Nachkommen sei. Diese Aufgabe könne auch von außerehelichen Gemeinschaften übernommen werden. In der öffentlichen Meinung gibt es über alle diese Fragen und Probleme eine breite Diskussion und eine lebhafte Auseinandersetzung. Es zeigt sich eine weitverbreitete Unsicherheit darüber, wie heute die eheliche Partnerschaft, die Rolle von Mann und Frau, die Weitergabe des Lebens, das Recht der Kinder auf Betreuung und Erziehung und die soziale Sicherung des Lebensstandards der Familie sinnvoll in Einklang gebracht werden können.

Zur Situation von Ehe und Familie in unserer Gesellschaft gehört es aber auch, daß die Mehrzahl der Menschen – wie wissenschaftliche Untersuchungen zeigen – auch heute in Ehe und Familie leben möchten und daß Werte wie Treue, Verantwortung, Verläßlichkeit, Hilfsbereitschaft und Solidarität einen hohen Stellenwert haben.

Die Familie ist auch heute ein Ort der Annahme und Geborgenheit. Die Menschen wollen nicht bloß Funktionäre im Bereich des wissenschaftlich-technischen und gesellschaftlich-wirtschaftlichen Lebens sein. Die Wertschätzung des personalen, überschaubaren Lebenskreises und personaler Beziehungen wirkt sich auch auf das Verständnis der Ehe und des Familienlebens aus. In der Familie kann Vertrauen erlebt und erfahren werden. Das ist besonders wichtig im Hinblick auf das Kind. In der Familie kann es jenes Urvertrauen zum Leben gewinnen, das die Voraussetzung für die Ich-Findung und die Hingabefähigkeit des Menschen bildet. In der Familie werden Wertvorstellungen gelebt und vermittelt und wird soziales Verhalten eingeübt. Der Mensch erfährt, daß er sich nicht sich selbst verdankt, sondern daß sein Leben Geschenk ist. In der Familie wird Lebenssinn vermittelt, wird Achtung und Ehrfurcht vor der Person des anderen gepflegt und werden Orientierungen für das Leben grundgelegt. So ist die Familie ein unersetzlicher Raum für Erziehung und Bildung. Und schließlich ist die Familie, wie keine andere Gemeinschaft, ein Ort der Zuflucht in der Not. Die Familie ist das Zuhause.

II.

Das Zweite Vatikanische Konzil hat sich in der »Pastoralen Konstitution über die Kirche in der Welt von heute« (»Gaudium et spes«) eingehend mit Würde und Bedeutung von Ehe und Familie befaßt. Die Weltbischofssynode 1980 hat erneut Fragen um Ehe und Familie zum Thema gemacht. Die Ergebnisse dieser Beratungen sind in dem Weltrundschreiben des Papstes »Familiaris consortio« über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute 1981 veröffentlicht worden.

In dieser christlichen Sicht sieht Josemaría Escrivá Ehe und Familie. Häufig kommt er in seiner Verkündigung darauf zu sprechen.

Es gibt eine christliche Berufung zur Ehe: »Seit fast 40 Jahren spreche ich nun vom Sinn der Ehe als Berufung; und wie oft habe ich die Augen von Männern und Frauen aufleuchten sehen, als sie mich sagen hörten, die Ehe sei ein göttlicher Weg auf Erden, während sie bisher geglaubt hatten, ein Leben der Hingabe an Gott sei mit ihrer reinen, lauteren, menschlichen Liebe nicht zu vereinbaren.«2

»Die Ehe ist für einen Christen keine bloß gesellschaftliche Einrichtung und noch weniger bloßes Heilmittel für die menschliche Schwachheit: Sie ist eine wahrhaft übernatürliche Berufung, sacramentum magnum, Geheimnis, Sakrament in Christus und in seiner Kirche, wie Paulus sagt (Eph 5,32), und gleichzeitig, untrennbar damit verbunden, ein Vertrag, den ein Mann und eine Frau für immer schließen, denn – ob wir es wollen oder nicht – die von Christus eingesetzte Ehe ist unauflöslich. Die Ehe ist ein großes heiligendes Zeichen, ein Tun Jesu, das die Seele der Brautleute erfüllt und sie einlädt, ihm zu folgen und so ihr Eheleben zu einem Weg Gottes auf Erden werden zu lassen. Die Eheleute sind dazu berufen, ihre Ehe und dadurch sich selbst zu heiligen; deshalb wäre es falsch, wenn sie ihr geistliches Leben abseits und am Rande ihres häuslichen Lebens führten. Das Familienleben, der eheliche Umgang, die Sorge um die Kinder und ihre Erziehung, das Bemühen um den Unterhalt der Familie und ihre finanzielle Besserstellung, die gesellschaftlichen Kontakte zu anderen Menschen, dies alles – so menschlich und alltäglich – ist gerade das, was die christlichen Eheleute zur Ebene des Übernatürlichen erheben sollen.«3

Jesus Christus hat die Ehe zur Würde eines Sakramentes erhoben. »Wie nämlich Gott durch den Bund der Liebe und Treue seinem Volk entgegenkam, so begegnet nun der Erlöser der Menschen und der Bräutigam der Kirche durch das Sakrament der Ehe den christlichen Gatten. Echte eheliche Liebe wird in die göttliche Liebe aufgenommen und durch die erlösende Kraft Christi und die Heilsvermittlung der Kirche gelenkt und bereichert, damit die Ehegatten wirksam zu Gott hingeführt werden und in ihrer hohen Aufgabe als Vater und Mutter unterstützt und gefestigt werden. So werden die christlichen Ehegatten in den Pflichten und der Würde ihres Standes durch ein eigenes Sakrament gestärkt und gleichsam geweiht. In der Kraft dieses Sakramentes erfüllen sie ihre Aufgabe in Ehe und Familie. Im Geist Christi, durch den ihr ganzes Leben mit Glaube, Hoffnung und Liebe durchdrungen wird, gelangen sie mehr und mehr zu ihrer eigenen Vervollkommnung, zur gegenseitigen Heiligung und so gemeinsam zur Verherrlichung Gottes.«4

Josemaría Escrivá deutet die christliche Überzeugung von der Sakramentalität der Ehe näher aus. »Die reine und lautere Liebe der Eheleute ist heilig, und ich als Priester segne sie mit beiden Händen. (…) Die Ehe ist ein Sakrament, das aus zwei Leibern ein Fleisch macht, wie es in der Theologie drastisch heißt. Die Leiber der Brautleute selbst sind die Materie des Sakramentes. Der Herr heiligt und segnet die Liebe des Mannes zur Frau und der Frau zum Manne: Er hat nicht nur die Vereinigung ihrer Seelen, sondern auch die ihrer Leiber gewollt. Kein Christ, ob zum ehelichen Leben berufen oder nicht, kann dies abwerten. (…) Auf diesem Hintergrund will die christliche Lehre über die Sexualität gesehen werden. Unser Glaube verkennt nicht das Schöne, Erhabene und echt Menschliche hier auf der Erde. Er lehrt uns, daß die Richtschnur unseres Lebens nicht egoistisches Luststreben sein darf, da nur Verzicht und Opfer zur wahren Liebe führen. (…) Auf unserem Erdenweg ist der Schmerz Prüfstein der Liebe. In kurzen Worten läßt sich sagen, daß der Ehestand Licht- und Schattenseiten hat (…). Wer aber meint, all diese Schwierigkeiten seien schon das Ende von Liebe und Freude, hat eine ärmliche Vorstellung von der Ehe und der menschlichen Liebe. Vielmehr ist erst dann, wenn wir den Kern des menschlichen Fühlens erreichen, die Zeit gekommen, in der sich Hingabe und Zärtlichkeit festigen und als eine Liebe erweisen, die stärker ist als der Tod (Spr 8,6).«5 In einer Homilie zum Weihnachtsfest sieht Escrivá die Familie im Licht der heiligen Familie. »Nach der Heiligen Schrift bedeutet die Geburt Jesu das Anbrechen der Fülle der Zeit (vgl. Gal 4,4), den Augenblick, den Gott wählt, um seine Liebe zu den Menschen ganz zu offenbaren, indem er uns seinen eingeborenen Sohn sendet. Dieser göttliche Ratschluß erfüllt sich unter ganz normalen, gewöhnlichen Umständen: Wir sehen eine Frau, die Mutter wird, eine Familie, ein Haus. Die göttliche Allmacht und Herrlichkeit bedient sich des Menschlichen, ja sie verbindet sich mit ihm. Seitdem wissen wir Christen, daß wir mit der Gnade des Herrn alles Gute in unserem Leben heiligen können und sollen. (…) Ich wünsche mir die Häuser von Menschen, die Christen sind, so hell und freundlich wie das Haus der Heiligen Familie. Die Weihnachtsbotschaft erreicht uns voll Kraft: Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden den Menschen guten Willens (Lk 2,14). In euren Herzen walte der Frieden Christi (Kol 3,15), heißt es beim heiligen Paulus. Es ist der Frieden, zu wissen, daß Gott, unser Vater, uns liebt, daß wir Christus einverleibt, durch Unsere Liebe Frau beschützt und durch den heiligen Josef beschirmt sind. Dies ist das mächtige Licht, das unser Leben erhellt und uns ermutigt, in allen Schwierigkeiten und persönlichen Schwächen weiterzugehen. Jedes christliche Haus müßte ein Haus des Friedens sein, in dem, über die alltäglichen kleinen Unstimmigkeiten hinweg, jene tiefe und aufrichtige Sorge füreinander und jene heitere Gelassenheit spürbar werden, die aus einem tief gelebten Glauben kommen.«6

»Nehmt einander an, wie auch Christus uns angenommen hat, zur Ehre Gottes« (Röm 15,7). Dieses Wort des Apostels Paulus gewinnt eine besondere Bedeutung für die Ehe und Familie.

»Einander« ist ein Wort, das in besonderer Weise die Gemeinschaft der Ehepartner kennzeichnet. Sie nehmen beieinander Wohnung und schaffen sich einen gemeinsamen Lebensraum, ein gemeinsames Zuhause, eine gemeinsame Heimat. Die Ehepartner sind einander in Treue angetraut. Sie sagen Ja zueinander und nehmen einander an. Das bedeutet: sich bemühen, einander zu verstehen, einander zu tragen und einander zu ertragen. In der Weggemeinschaft der Ehe ist es gut zu erfahren, daß einer des anderen Last trägt. Im Miteinander der Ehe erleben die Partner auch das Ungenügen. Rechthaberei, Gefühllosigkeit, Starrsinn und manches mehr können zu schweren Krisen führen. Einander annehmen heißt in solchen Situationen: bereit sein, einander zu vergeben und miteinander einen neuen Anfang zu suchen. Beieinander bleiben, einander aushalten, miteinander aushalten, aufeinander warten, einander suchen, aufeinander zugehen, miteinander hoffen, offen sein füreinander: All das prägt das Leben der Ehe. Zur Partnerschaft in der Ehe gehört es, einander zu dienen und nicht zu versuchen, sich den anderen untertan zu machen. Niemand darf das Leben des anderen ganz besetzt halten. Jeder Einzelne hat seine persönliche Geschichte, auch seine persönliche Geschichte mit Gott.

Josemaría Escrivá wurde häufig um persönlichen Rat angegangen. Anregungen, die er in ganz persönliche, konkrete Situationen hineinspricht, haben doch zugleich eine allgemeine Bedeutung. So riet er einer brasilianischen Frau, die – seit 23 Jahren verheiratet – ihn nach einem Rat fragte, um in ihrer Ehe den Schwung der ersten Zeit zurückzuerhalten:

»Du wirst wie eine ewige Namorada (portugiesisch: Verlobte) sein. Jeden Tag sollt ihr euch von neuem erobern wollen, du deinen Mann und er dich. (…) Du erreichst das, wenn du deinen Mann als das ansiehst, was er ist: ein großes Stück von deinem Herzen, dein ganzes Herz; wenn du weißt, daß er dir gehört und daß du ihm gehörst, wenn du daran denkst, daß du die Pflicht hast, ihn glücklich zu machen und an seinen Leiden und Freuden, an seiner Gesundheit und an seiner Krankheit teilzuhaben.

Ihr wißt mehr als irgendwer auf der Welt, denn die Liebe ist sehr vielwissend. Wenn dein Mann von der Arbeit, von seinen beruflichen Aufgaben heimkommt, soll er dich nicht verärgert und nervös vorfinden. Sei gepflegt, mach dich hübsch, und wenn die Jahre zunehmen, bessere etwas mehr an der Fassade aus, wie man es mit den Häusern tut. Er ist dir dankbar dafür! Denn oft, mitten in den Widerwärtigkeiten des Berufsalltags, die ja nie fehlen, hat er an Gott gedacht, und an dich, und er hat sich gesagt: Wenn ich nachher nach Hause komme … Wie schön! Dort erwartet mich eine Oase des Friedens, der Freude, der Herzlichkeit und der Schönheit – ja, für ihn ist nichts auf der Welt schöner als du (…). An dem Tag, an dem er müde heimkommt – und du weißt das sehr gut, du ahnst das geradezu –, erinnere dich an sein Leibgericht: das werde ich ihm heute kochen. Und du sagst es ihm nicht, damit er dir nicht zu Dank verpflichtet ist: du überraschst ihn, und er schaut dich an mit solch einem Blick … Und das genügt!«7

Zum Miteinander in der Ehe und Familie gehört auch das Miteinander des Glaubens. Miteinander über den Glauben sprechen, miteinander beten, miteinander Gottesdienst feiern, miteinander einen christlichen Lebensstil pflegen, miteinander den Sonntag feiern: All dies sind Formen, die die Familiengemeinschaft bereichern.

Das Miteinander der Ehepartner kommt in besonderer Weise darin zum Ausdruck, daß sie miteinander neuem Leben Raum geben. Nicht selten findet man die Meinung, daß Kinder ein Hindernis für das Leben und die Selbstverwirklichung der Ehepartner sind. Kinder werden in Konkurrenz gesehen zu anderen Werten, die oft materieller Natur sind. Die Ehepartner müssen miteinander einen Lebensraum für Kinder frei machen. Wer Kindern Raum im eigenen Leben gibt, hat auf den ersten Blick weniger Raum für sich selbst, und doch weitet er zugleich auch den eigenen Lebensraum. Das Miteinander-Dasein für neues Leben kann zum Gelingen des Miteinander der Ehe beitragen.

Escrivá macht den Eltern Mut zum Kind: »Mein herzlicher Segen gilt den Eltern, die die ihnen von Gott anvertraute Aufgabe freudig entgegennehmen und viele Kinder haben. Ich möchte die Eheleute davon überzeugen, daß sie die Quellen des Lebens nicht versiegen lassen dürfen, sondern mutig und mit übernatürlicher Sicht eine zahlreiche Familie bilden, wenn Gott es so gibt. Wenn ich für die kinderreiche Familie eintrete, meine ich damit nicht den Kinderreichtum als bloße Folge physiologischer Beziehungen, sondern die kinderreiche Familie als Konsequenz wahrhaft gelebter christlicher Tugend. Ich meine die Familie, die einen hohen Sinn von der Würde der Person besitzt und begreift, daß die Aufgabe, Gott Kinder zu schenken, nicht nur drin besteht, sie zu zeugen und zur Welt zu bringen, sondern auch eine langwierige Erziehungsarbeit erfordert. Das physische Leben steht zwar am Anfang, ist aber keineswegs alles.

Es kann konkrete Fälle geben, in denen der Wille Gottes, der sich in den alltäglichen Dingen äußert, gerade darin besteht, daß die Familie klein bleibt. Aber die Theorien, die aus der Geburtenbeschränkung ein Ideal oder eine allgemeine Pflicht zu machen suchen, sind verbrecherisch, antichristlich und unvereinbar mit der Personenwürde des Menschen.«8

Zur Familie gehört das Miteinander von Eltern und Kindern. Die Familie bietet den Kindern einen Raum der Geborgenheit, in dem Vertrauen wachsen kann, Vertrauen zu sich selbst und Vertrauen zu den anderen. In der Familie können die Kinder erfahren: »Wir sind füreinander wertvoll und kommen einander zugute« (Yves Congar). Die Eltern lassen das Kind spüren: Du bist wertvoll für uns. Kinder erfahren: Die Eltern sind wertvoll für mich. Geschwister können lernen, daß sie füreinander wertvoll sind. Miteinander – füreinander – Solidarität: Die Familie ist die erste und wichtigste Schule des sozialen Verhaltens.

Der junge Mensch ist auf der Suche nach Selbständigkeit. Theresia von Lisieux sagt: »Ich will dich preisen mit der Stimme, die du mir gabst.« Gott hat jedem seine eigene Stimme gegeben. Sie unterscheidet sich von der Stimme der Eltern und Geschwister. Die eigene Stimme ist ein Bild für das Leben, das in eigener Verantwortung übernommen werden muß. Einander annehmen bedeutet in dieser Lebensphase: Einander helfen, die eigene Stimme zu erkennen, und Mut machen, sie zu singen.

Zum Miteinander von Eltern und Kindern in der Familie sagt Josemaría Escrivá: »Man kann nicht über die Ehe sprechen, ohne gleichzeitig an die Familie zu denken, die Frucht und Fortsetzung dessen ist, was mit der Ehe beginnt. (…) Sicherlich gibt es auch Ehen, denen der Herr keine Kinder schenkt: Dies ist ein Zeichen dafür, daß sie aufgefordert sind, sich mit der gleichen Zuneigung zu lieben und ihre Kräfte, sofern sie können, in den Dienst am Nächsten zu stellen. Aber für gewöhnlich kommen Kinder, und dann geht die Sorge um sie allem anderen vor. Vater- und Mutterschaft enden nicht mit der Geburt: Diese Teilnahme an der Macht Gottes – die Fähigkeit zu zeugen – muß sich im Mitwirken mit dem Heiligen Geist fortsetzen und darin gipfeln, echt christliche Männer und Frauen heranzubilden.

Die Eltern sind sowohl im Menschlichen als auch im Übernatürlichen die Haupterzieher ihrer Kinder und müssen die Verantwortung dieser Aufgabe spüren. Sie fordert von ihnen Verständnis, Klugheit, die Fähigkeit zu lehren und vor allem die Fähigkeit zu lieben, sowie das Bestreben, ein gutes Beispiel zu geben. Das Ideal für die Eltern liegt darin, Freunde ihrer Kinder zu werden, Freunde, denen sie ihre Sorgen anvertrauen, mit denen sie ihre Probleme besprechen und von denen sie eine wirksame und wohltuende Hilfe erwarten können.

Es ist notwendig, daß sich die Eltern Zeit nehmen, um mit ihren Kindern zusammen zu sein und mit ihnen zu sprechen. Die Kinder sind das Wichtigste: wichtiger als das Geschäft, die Arbeit, die Erholung. Bei diesen Gesprächen (…) sollten sie ihnen keine Verhaltensweise aufzwingen, sondern ihnen die übernatürlichen und menschlichen Motive für eine bestimmte Verhaltensweise aufdecken. Mit einem Wort: Sie sollten ihre Freiheit achten, da es keine wirkliche Erziehung ohne persönliche Verantwortung, noch Verantwortung ohne Freiheit gibt.«9

Ein Sprichwort sagt: »Daheim, das ist dort, von wo man aufbricht.« Junge Menschen brechen aus der Familie auf, um ihren eigenen Weg zu suchen. In dieser Zeit ist es wichtig, zu erfahren, daß man einander nahe bleibt, selbst wenn die Wege räumlich und manchmal auch geistig weit auseinander führen. Es ist gut zu wissen, daß es in der Welt Menschen gibt, zu denen man immer wieder kommen kann.

In dieser Zeit des Aufbrechens kommt es in der Familie häufig zu Meinungsverschiedenheiten, die zu Auseinandersetzungen führen können. Es ist nicht immer leicht, damit zu leben. Doch es ist gut, daß das Gespräch nicht abreißt oder verstummt.

Einander annehmen: Das kann manchmal auch die Form des Aufeinander-Wartens haben, wie beim Vater im Evangelium vom verlorenen Sohn. Er wartet auf die Rückkehr des Sohnes und nimmt ihn nach langer Abwesenheit und Irrfahrt wieder auf. Einander annehmen bedeutet: Einander nahe bleiben in der Anteilnahme aneinander, in der Sorge füreinander und vor allem im Gebet.

Ehe und Familie sind reicher, wenn sie offen sind für die größere Gemeinschaft. Das ummauerte Haus mit verschlossenen Türen und Fenstern ist kein gutes Bild für die Ehe und Familie. Eine solche Lebensform kann auf Dauer zur Verkümmerung des Miteinander führen. Das Miteinander wird reicher, wenn es Raum hat, um Freude und Not anderer zu teilen. Besonders in unserer Zeit ist die Gemeinschaft gleichgesinnter Familien von großer Bedeutung. Dabei dürfen wir den Blick nicht verschließen vor den vielen, die nicht in der Gemeinschaft einer Familie leben, aus welchen Gründen auch immer: alleinstehende, alleinerziehende, geschiedene, verwitwete Personen.

In Sao Paulo wurde Escrivá im Mai 1974 folgende Frage gestellt: »Heute gibt es leider viele Familien, in denen die Ehegatten geschieden sind; wie soll sich ein Katholik gegenüber solchen Familien und ihren Kindern verhalten?«

Escrivá antwortete: »Zuallererst: Verständnis, meine Kinder. Wir erreichen nichts dadurch, daß wir Menschen schlecht behandeln. Wenn wir ihnen begegnen, die einer Hilfestellung, eines guten Rates, eines herzlichen Wortes bedürfen, dann können wir sie nicht schlecht behandeln. Sie sind ja an der Seele krank, wie andere geistig oder psychisch.

Also, erstens: sie nicht schlecht behandeln.

Zweitens: Wenn sie fragen: Was halten Sie von meiner Lage? Dann eine klare Antwort: beklagenswert. Es tut mir aufrichtig leid – aber sie ist beklagenswert. Warum lügen? Aber hinzufügen: Verzweifle nicht. Mit der Gnade Gottes werden sich Wege finden lassen, um alles in Ordnung zu bringen. Weil es sich häufig um Gefühlsdinge handelt und Kinder da sind, ist das alles nicht leicht. Oft lösen sich solche Situationen auch wieder auf – und am Lebensende immer.

Behandelt die Unglücklichen niemals schlecht, habt ihr verstanden? Und helft ihren Kindern, so viel ihr könnt. Sie sollen sich nicht schämen. (…) Verhaltet euch menschlich, das in erster Linie. Und dann christlich. Zuerst sind wir Menschen, dann, durch die Taufe, erhalten wir die Gnade, Kinder Gottes zu sein. In eurem Leben, in eurem Umgang mit den Mitmenschen, muß man euch dies beides anmerken: die natürlichen Tugenden und die übernatürlichen. Kurz: dein liebenswürdiges und herzliches Benehmen – denn du hast Fingerspitzengefühl –, dann als übernatürliche Arznei, dein guter Rat, der Rat eines Christen, und dein gutes Beispiel.«10

»Nehmt einander an, wie auch Christus euch angenommen hat, zur Ehre Gottes.« Wo dies in einer Familie gelebt wird, wird sie zu einem christlichen Zeugnis in unserer Welt.

Escrivá verweist auf das Beispiel der Familien in frühchristlicher Zeit. »Familien, die aus der Kraft Christi lebten und Christus verkündeten; kleine christliche Gemeinschaften, die wie Brennpunkte des Evangeliums waren. Es waren Familien wie so viele andere Familien jener Zeit, aber sie waren von einem neuen Geist beseelt, der alle ansteckte, mit denen sie verkehrten. So waren die ersten Christen, und so müssen wir Christen von heute sein: Boten des Friedens und der Freude, die Christus uns brachte.«11

Anmerkungen:

1 Joseph Kardinal Höffner, Christliche Gesellschaftslehre, Kevelaer 1983, S. 106.

2 Gespräche, 91.

3 Christus begegnen, 23.

4 Gaudium et spes, 48.

5 Christus begegnen, 24.

6 Ebd., 22.

7 Salvador Bernal, Msgr. Josemaría Escrivá de Balaguer. Aufzeichnungen über den Gründer des Opus Dei, Köln 1978, S. 5253.

8 Gespräche, 94.

9 Christus begegnen, 27.

10 S. Bernal, a.a.O., S. 55.

11 Christus begegnen, 30.

Artikel aus dem Band "Josemaría Escrivá - Profile einer Gründergestalt" (Hrsg. César Ortiz), Köln, Adamas 2002