Escrivá war ein Vorläufer des Konzils

Viele Aussagen des Konzils zur Berufung zur Heiligkeit in der Kirche und zum Glaubenszeugnis in Kirche und Welt haben in der Botschaft des hl. Josefmaria ihre Wurzeln.

Als einen Vorläufer des Zweiten Vatikanischen Konzils hat Kardinal Karl Lehmann den vor kurzem in Rom von Papst Johannes Paul II. heiliggesprochenen Josemaría Escrivá bei einem Vortrag im Martin-Gropius-Bau in Berlin bezeichnet. Es sei ein Verdienst des Gründers des Opus Dei, dass er einzelne Ansätze der christlichen Tradition aufgegriffen und eine "laikale Spiritualität" formuliert habe. "Viele Aussagen des Konzils zur Berufung zur Heiligkeit in der Kirche und zum Glaubenszeugnis in Kirche und Welt haben hier ihre Wurzeln", betonte der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz. Zu der vom heiligen Josemaría verkündeten Einheit von Zuversicht, Verantwortung und Freiheit als Elemente einer neuen Laienspiritualität sei ihm nichts Vergleichbares bekannt.

Lehmann pflichtete in seinem Vortrag ausdrücklich Kardinal Friedrich Wetter bei, der vor einer Woche bei einem Pontifikalamt im Münchner Liebfrauendom bekräftigt hatte, dass neben der Liturgie-, der Bibel- und der Ökumenebewegung auch Escrivá mit seinem Beitrag zur Lehre von der allgemeinen Berufung zu Heiligkeit eine bedeutende Vorarbeit zu einer der wichtigsten Aussagen des Konzils geleistet habe, die kaum zur Kenntnis genommen würden.

Zu der gut besuchten Veranstaltung in einem Vortragsraum des Ausstellungsgebäudes hatte der Regionalvikar der Prälatur Opus Dei in Deutschland, Christoph Bockamp aus Köln, eingeladen. In Bezug auf die Mitglieder des Opus Dei erklärte Kardinal Lehmann mit Worten Josemaria Escrivás, sie seien "normale Menschen, die einer normalen Arbeit nachgehen und in der Welt als das leben, was sie sind: als christliche Staatsbürger, die den Forderungen ihres Glaubens ganz entsprechen wollen".

Um zu verstehen, wieso der Opus-Dei-Gründer in relativ kurzer Zeit so viele Menschen anzog, müsse man bedenken, dass viele einen Weg der Heiligung mitten in der Welt gesucht hätten, ihn aber mit den traditionellen Wegen nicht finden konnten. "Nachdem anderthalb Jahrtausende lang das Ordensideal vorherrschte, greift das Opus Dei wieder die Art auf, mit der die Christen der ersten Jahrhunderte ihren Glauben lebten", führte Lehmann aus. Der heilige Josemaria habe unbefangen vom "christlichen Materialismus" gesprochen. "Wenn man in die Kleinigkeiten des Alltags Liebe hineinlegt, dann wird man auch die Spuren Gottes darin finden. Das ist sein Programm", verdeutlichte der Mainzer Bischof.

Der neue Heilige sei sich klar gewesen, dass der Laienchrist nicht zur Abkehr von der Welt, "sondern zu ihrer verantwortlichen Gestaltung im Sinne des Schöpfers" gerufen sei. Er habe nicht in erster Linie Mächtige gewinnen wollen, vielmehr "Menschen mit einer Bereitschaft zum Einsatz und zur Veränderung, auch zu Veränderung zuerst ihrer selbst". Das Leben müsse dafür in der Kontemplation wurzeln: "Immer wieder sagte Escrivá, die Waffe des Opus Dei sei nicht die Arbeit, sondern das Gebet“, betonte der Kardinal.

Angesichts negativer Stimmen zum Opus-Dei-Gründer plädierte er dafür, sich seiner spirituellen Gestalt und der "zündenden Idee" seines Wirkens zu stellen. Man müsse Escrivá noch mehr Menschen bekannt machen. Er selbst sei früher von kritischen Äußerungen des Theologen Hans Urs von Balthasar über das Opus Dei angesprochen gewesen. Mittlerweile sehe er die positive Leidenschaft des neuen Heiligen für die Menschen bei der Bewältigung der Aufgaben in der Welt vor dem Hintergrund des Explosivstoffs des Glaubens. Er hoffe, "dass man jetzt nach der Heiligsprechung im Blick auf Josemaria Escrivá endlich mal zu den wichtigen Inhalten" komme. Wenn der Kirche ein neuer Heiliger geschenkt würde, müsse sie sich fragen, was der Geist Gottes ihr durch ihn sagen wolle.

Die spirituelle Herausforderung durch das Opus Dei dürfe von Diskussionen über die Inkulturation eines solchen Werkes in unserer Gesellschaft nicht abgewürgt werden. "Die Kirche kann es sich heute nicht leisten, Charismen, die in ihr entstanden und aufgeblüht sind, zu verachten", warnte Lehmann. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz zeigte sich erfreut, dass in der Kirche heute so viele geistige Schätze mit eigenem Profil in den Ordensgemeinschaften, Säkularinstituten und „auf einzigartige Weise im Opus Dei" existierten, so dass der Einzelne wählen könnte, wo er sich am besten wiederfinde. Gerade im Sinne von Escrivás laikaler Spiritualität müsse die Kirche die Laien befähigen, in den säkularen Tätigkeiten authentische Zeugen des Evangeliums zu sein, weil die verfasste Kirche dort nicht überall hinkommen könnte. "Diese christliche Laienmentalität wird euch dazu befähigen, jede Form von Intoleranz und Fanatismus zu vermeiden", zitierte er aus einer Predigt des heiligen Josemaría aus dem Jahre 1967.

Artikel in der Katholischen Kirchenzeitung, Berlin, 1.12. 2002