Liebenswerte Erinnerungen an einen heiligen Menschen

José Luis Olaizola, Schriftsteller; in: ‘Pueblo’, 2. Oktober 1978

Im April 1965 musste ich nach Rom zu einem Presseseminar, da ich einen Leitungsposten in einem Presseunternehmen innehatte. Ich nahm meine Frau Marisa mit, die zu der Zeit – wie so oft in jenen Jahren – schwanger war; sie erwartete unser siebtes Kind. Ich nahm sie aus vielen Gründen mit, vor allem aber, weil wir uns Hoffnung machten, dass der Vater uns empfangen würde. Und so war es auch. Wir besuchten ihn am 15. April 1965, morgens um 11 Uhr. Er empfing uns in Bruno Buozzi 73, wo er wohnte.

An jenem denkwürdigen Tag trug der Vater eine saubere, nicht mehr allzu neue Soutane und eine schwarze Strickjacke, die wie selbstgestrickt wirkte. In meiner Erinnerung habe ich einen gut aussehenden Mann vor mir, mit schwarzen, nicht allzu reichlich wachsenden Haaren, die an einer Seite gescheitelt waren, mit glatter Haut und gut rasiert. Er sah irgendwie angegriffen aus, nicht gesundheitlich, sondern als Folge einer gewissen Losgelöstheit von seiner Person, obwohl seine Stimme kräftig klang. Er sprach viel, wir hingegen wenig. Es war eine wunderbare Katechese, denn zu mir sagte er zum Beispiel, wir müssten ein besseres Leben führen, Reisen machen, etwas unternehmen, und vor allem müsste ich meiner Frau mehr Zerstreuung bieten. Marisa unterbrach ihn: „Vater, aber dann wird man sagen, dass wir uns im Opus Dei ein schönes Leben machen.“ Woraufhin der Vater ihr erwiderte: „Sie sollen sagen, was sie wollen.“ Das sagte er, weil er nie in falscher Weise auf Menschen Rücksicht nahm, und auch nicht wollte, dass wir das täten. Außerdem enthielt dieser Rat eine ausgezeichnete Ration Askese für mich, denn ich war ein Tatmensch, ein bisschen eingebildet, um die dreißig und bereit, um jeden Preis beruflich zu glänzen. Den Tag, an dem ich nicht wenigstens zehn Stunden gearbeitet hätte, betrachtete ich von vorneherein als verloren.

Außerdem, so erklärte er uns, könnte das, was zu anderen Zeiten eher Luxus gewesen sei, sich nun als unverzichtbar erweisen. Er bezog sich dabei auf die Notwendigkeit, sich entspannende Erlebnisse zu gönnen und ab und zu die Umgebung zu wechseln, da uns das moderne Leben einen „stressigen“ Rhythmus aufnötigte, den man unterbrechen musste. Er nutzte die Gelegenheit, uns zu erklären, wie wir die Armut leben sollten, die man in allem zu leben habe, bis dahin, eine alte Soutane zu flicken, damit sie länger hielt. Er bestand sehr auf diesem Punkt und untersuchte den Stoff seiner Soutane, bis er eine Stelle fand, die schon recht abgenutzt war. „Hier ist eine kleiner Riss“, sagte er, stand auf und suchte eine Stellung einzunehmen, bei der genügend Licht darauf fiel, so dass wir ihn sehen konnten. Dann beruhigte er uns mit dem Hinweis, dass er sie wieder flicken würde, um sie weiterhin anzuziehen. Er war ein sehr eleganter Priester, obwohl er eine alte Soutane und eine dicke Strickjacke trug. Er war ein Heiliger, der uns am Ende des Gespräches zur Kapelle begleitete, um dort den Herrn im Tabernakel zu grüßen. Er machte eine tiefe Kniebeuge und blickte dabei intensiv auf den Tabernakel. Dann lud er mich ein, dasselbe zu tun, meiner Frau jedoch gestattete er es nicht, weil sie schwanger war. Danach gingen wir zu einer Marienstatue, die er so liebevoll küsste, dass ich mich kaum getraute, es nach ihm auch zu tun.

Wenn ich diese Zeilen noch einmal lese, stelle ich fest, dass ich nur persönliche Dinge beschrieben habe, die mir von diesem heiligmäßigen Menschen, der sein Leben für die Kirche verzehrte, im Gedächtnis geblieben sind. Heute, da ich ungefähr fünfzig bin, bin ich nicht viel klüger als in meiner verrückten Jugend, aber immerhin habe ich vom Gründer des Opus Dei gelernt, das Übernatürliche als das Natürlichste von der Welt zu akzeptieren, so dass ich die Dinge, die eigentlich unmöglich scheinen, mit dem Frieden erledige, den er uns beigebracht hat.

Wenn mir heutzutage Kritiker die Ehre erweisen, sich zu meinen Romanen zu äußern, dann beschreiben sie mich als einen Autor, der seinen Gestalten erlaubt, sie selber zu sein, und dass ich mich liebenswürdig auf sie zugehe. Und ich kann nicht umhin, zu denken, dass der Vater genau so die Menschen behandelt hat: Er achtete sie und liebte sie mit ihren Fehlern, ja, wegen ihrer Fehler. Das alles und vieles andere habe ich von ihm gelernt, in einem Ausmaß, dass ich den Eindruck habe, sehr wenig gewusst zu haben, bevor ich ihn kennen lernte.