Josefmaria war ein Vulkan der Liebe zu Gott

Marlies Kücking, Philologin, Deutschland

Marlies Kücking lernte Josemaría Escrivá 1957 in Köln kennen. Mehrere Jahre lang war sie Mitarbeiterin des Gründers des Opus Dei in Rom. Seit 1964 arbeitet sie in der Zentralleitung der Prälatur.

Wenn man sie um eine exaktere Angabe bitten würde, könnte Marlies Kücking vielleicht den Tag und die Stunde konkretisieren, als sie Josemaría Escrivá kennenlernte, obwohl sie nur sagt, dass es „an einem Augustnachmittag des Jahres 1957“ war.

„Seit dem Tag, an dem ich seine Bekanntschaft machte – so versichert sie – hatte ich die Gewissheit, es mit einem Heiligen zu tun zu haben, und diese Gewissheit hat mich nie mehr verlassen.“

Seit 1964 arbeitet Marlies Kücking in der Zentralleitung der Prälatur. Sie ist eine Deutsche mit nordischem Flair, die als Bergsteigerin mehr als einen Gipfel erklommen hat, aber auch gern auf flachem Gelände spazieren geht. Sie hat Germanistik und Anglistik in Bonn studiert, spricht ein halbes Dutzend Sprachen und hat alle fünf Kontinente bereist.

„Welche Bedeutung messen Sie der Tatsache bei, dass die Kirche Josemaría Escrivá zur »Ehre der Altäre« erhoben hat?“

„Immer wenn die Kirche eines ihrer Kinder zur Ehre der Altäre erhebt, ist es als ob sie jedem sagte: Auch du bist fähig! In diesem Fall befinden wir uns außerdem vor einem ganz nahen Modell, nicht nur weil es sich um einen Zeitgenossen handelt, sondern vor allem aufgrund der Aktualität, welche die Botschaft, die Gott ihm anvertraute, für die arbeitende Frau und den arbeitenden Mann unserer Tage hat: Alle ehrbaren Wege können zu einer Begegnung mit Gott führen; alle konkreten Umstände unseres Lebens – die familiäre, gesellschaftliche und berufliche Wirklichkeit – können und sollen uns Gott zuwenden, angefangen von der Arbeit des Landmanns und des Arbeiters bis zu der des Forschers, von der Familienmutter bis zum Journalisten oder zum Politiker, um nur einige zu nennen. Es gibt keinen ehrenhaften Bereich, der vom Ruf zur Heiligkeit ausgenommen wäre. Ich würde es mit Worten sagen, die Josemaría Escrivá gerne wiederholte: Die göttlichen Wege der Erde haben sich aufgetan.“

„Beschränkt sich die Bedeutung der Heiligsprechung auf die Sphäre des Opus Dei oder umfasst sie die ganze Kirche?“

„Es handelt sich um einen Akt, der den Bereich der Prälatur überschreitet, denn die Gestalt des heiligen Josefmaria ist universal. Das ist ein soziologisches Faktum, es reicht, die apostolischen Initiativen in den Blick zu nehmen, die unter seinem geistlichen Antrieb entstanden sind, oder auch die Verbreitung seiner Verehrung in der ganzen Welt; vor allem aber basiert dieses Faktum auf der Universalität der Botschaft, die er von Gott empfing: Frauen und Männer daran zu erinnern, dass alle Getauften ohne Ausnahme von Christus eine Berufung zur Heiligkeit und zum Apostolat erhalten haben, und zwar im alltäglichen Leben durch die Erfüllung der gewöhnlichen Pflichten. Natürlich ist es logisch und steht für mich außer Zweifel, dass die Heiligsprechung in der Prälatur auf besondere Weise erlebt wird, denn für die Gläubigen wird es wahrhaftig ein neuer Ansporn sein, ihrem Gründer treu zu folgen.“

Das Büro von Marlies Kücking liegt im dritten Stock und geht auf einen kleinen Innenhof hinaus, der nach Art der römischen Architektur in orangenen Tönen gehalten ist. Im Hintergrund sieht man die Stadt, dieses Rom, durch das Josemaría so oft gestapft ist, um eine Statue zu einem guten Preis oder eine winzige Krippe für einen Kranken zu finden oder auch nur, um einen Spaziergang zu machen.

Sommer 57

„Sie sind eine derjenigen, die am längsten mit dem Heiligen zusammen gearbeitet hat.“

„Allerdings, ich hatte das ungeheure Glück, viele Jahre mit dem heiligen Josefmaria zusammen zu arbeiten. Seit dem Tag, an dem ich ihn kennen lernte, bis zum letzten Tag, an dem ich ihn kurz vor seinem Tod sah, konnte ich Zeuge seiner Liebe zu Gott, seiner Treue zur Kirche und zum Heiligen Vater, seiner Zuneigung zu seinen Kindern und zu allen Menschen, seines unermüdlichen Arbeitseifers, seiner guten Laune und seiner beständigen Bemühung um die christlichen Tugenden sein.“

„Erzählen Sie uns doch, wie und wann Sie ihn kennen lernten.“

„Ich lernte ihn an einem Augustnachmittag 1957 im ersten Zentrum der Frauen vom Opus Dei in Köln kennen. Mir fiel sofort seine väterliche, ja geradezu mütterliche Liebe zu jeder von uns, die wir damals da waren, auf. Wir machten gerade die ersten Schritte in der apostolischen Arbeit der Frauen des Werkes in Deutschland. Trotzdem forderte der heilige Josefmaria uns auf, von den großen apostolischen Projekten zu träumen, die in der Zukunft Wirklichkeit werden würden, er steckte uns mit seinem Glauben an Gott an. »Mit Gottes Gnade und guter Laune ist alles möglich«, sagte er uns.“

„Versetzen wir uns jetzt in die sechziger Jahre in Rom.“

„Als ich mit ihm in Rom arbeitete, sah ich plastisch diesen Glauben an Gott, der ihn dazu führte, vor allen möglichen Gefahren verschiedenster Art, denen er im Laufe seines Lebens begegnete, nicht zurückzuschrecken; als da sind: Mangel an materiellen Mitteln, Unverständnis, Verleumdungen... Man merkte, dass er sich voll der Aufgabe bewusst war, die Gott ihm anvertraut hatte und dass er es verstand, diesen Glauben an die anderen weiterzugeben. Seit dem Tag, an dem ich seine Bekanntschaft machte – so versichert sie – hatte ich die Gewissheit, es mit einem Heiligen zu tun zu haben, und diese Gewissheit hat mich nie mehr verlassen.

Ich habe feststellen können, dass er in vielen anderen dieselbe Spur hinterlassen hat. Wenn sie eine Gelegenheit hatten, dem heiligen Josefmaria zu begegnen, und sei es nur kurz, dann äußerten sie sich tief beeindruckt. Und es handelte sich da nicht um eine rein menschliche Begeisterung, wie man sie empfindet, wenn man einem Idol folgt. Es gab da etwas Göttliches. Er versuchte nie, die Leute an sich zu binden, sein Motto war, ‚sich zu verbergen und zu verschwinden’. Er versuchte leidenschaftlich, uns Gott näher zu bringen. Man könnte sagen, dass er »ein Vulkan der Liebe zu Gott« war, der anspornte, Christus mit mehr Einsatz im Gebet und im Opfer zu suchen, sich im Apostolat zu verausgaben, sich dafür einzusetzen, dass die Freunde und Kollegen Gott begegneten, ausdauernder zu arbeiten und im Zusammensein mit anderen ihnen das Leben angenehm zu machen...“

Liebe zur Wahrheit und zur Freiheit

Der Schreibtisch von Marlies Kücking ist recht groß, geeignet für ein gemeinsames Arbeiten mehrerer Personen. Links steht ein Computer, der mit den anderen Büros vernetzt ist, dahinter ein Regal, auf dem ein Kreuz steht, das Josemaría Escrivá1946 kaufte, als er zum ersten Mal nach Rom kam. Ein paar Fotos, alte wie neue, von Gläubigen der Prälatur aus aller Welt geben dem Regal etwas Internationales.

„Worin bestand ihre Zusammenarbeit mit Josemaría Escrivá? Könnten Sie seine Arbeitsweise beschreiben?“

„Sei 1946 bin ich Mitglied des leitenden Zentralrates der Frauen und arbeite weiterhin in diesem Gremium, das dem Prälaten bei der Leitung des Opus Dei hilft. Diese vierzehn Jahre bis zu seinem Tod 1975 haben mir erlaubt, die Erfahrung zu machen – oder, um es plastisch auszudrücken, »mit Händen zu greifen« –, welches Feuer der Nächstenliebe in seiner Seele brannte, das ihn antrieb, sich seiner Leitungs- und Bildungsarbeit an der Spitze des Opus Dei vollkommen hinzugeben. Er hatte ein lebendiges Empfinden für die Säkularität des Gründungsgeistes und eine große Liebe zur Wahrheit und zur persönlichen Freiheit und Verantwortung. Daher verwundert es nicht, dass man unter seiner Anleitung lernte, die Leitungsaufgaben als einen Dienst an den anderen, an ihrem irdischen und ewigen Glück, zu verstehen und auszuführen; daher rief er uns auch öfter auf, gut, das heißt beruflich kompetent zu arbeiten, über die Treue zur Kirche oder zum Geist des Opus Dei zu wachen und das Glück aller vor Augen zu haben. Wir sollten die Menschen dazu bringen, mehr zu lieben, und es verstehen, ihre apostolische Spontaneität zu fördern.“

„Stellen Sie doch noch zwei Merkmale dessen, was Sie da erwähnt haben, heraus.“

„Seine Liebe zur kollegialen Leitung und seine tiefe Demut. Er liebte die Kollegialität und ließ uns alle so arbeiten. Er verabscheute die Haltung dessen, der sich zum ‚Tyrannen’ aufspielt; er hörte immer zu, wenn die anderen ihre Meinung zu einer Angelegenheit sagten und gab seine Ansicht als letzter von sich. Das war nicht nur eine funktionale Art und Weise vorzugehen, um wirksam zu sein – wie z.B. aus dem Grund, dass, wie man sagt, vier Augen mehr sehen als zwei –, sondern er tat es zum Wohl der Menschen. Für mich waren diese beiden Aspekte immer ein Zeichen seiner feinfühligen Liebe zur Freiheit und seines entschiedenen Kampfes, Gott zu lieben. Er ermutigte uns, unsere Meinung zu sagen, obwohl er der Gründer war und wir jünger als er.

Der Mittelpunkt seines Lebens

Das meistgeschätzte Schmuckstück in diesem Arbeitszimmer im römischen Stadtteil Parioli ist ein kleiner Rahmen, in dem sich das Kruzifix befindet, das man dem heiligen Josefmaria am 27. Juni 1975, dem Tag nach seinem Tod, in die Hände gelegt hatte . Es wurde kurz vor seiner Beerdigung durch ein anderes ersetzt.

„Welches war für Josemaría Escrivá der Mittelpunkt des Lebens?“

„Im Mittelpunkt seines ganzen Lebens stand Jesus Christus, seine große Liebe.

Untrennbar von dieser Liebe und um ihretwillen liebte er leidenschaftlich alle Menschen, ganz besonders seine Kinder. Er konnte lieben, seine Zuneigung war gleichzeitig übernatürlich und menschlich. Seine Gegenwart und seine Worte zogen unwiderstehlich zu Christus hin. Er brachte uns dazu, die Heiligste Menschheit Jesu zu lieben, zugleich erreichte er, dass die Menschen in einer Umgebung froh waren und sich wohl fühlten. Man war gerne mit ihm zusammen. Er hatte ein wachsames Herz und achtete auf jedwede Gefahr, die einem seiner Kinder drohen konnte. Ich erinnere mich an seine große Freude als er an einem Tag im März 1964 an einer Wegkreuzung der Castelli Romani, in der Nähe von Nemi, ein Bild der Muttergottes fand, das die Inschrift trug: „Cor meum vigilat“. Das war gleichsam die Materialisierung der Sehnsucht seines eigenen Herzens. So war er immer: wachsam und mit dem Herzen dabei. Wie in allem, ging er auch bei diesem für den Familiengeist des Opus Dei charakteristischen Aspekt voran. Mit dem Herzen eines Vaters und einer Mutter spürte er, wenn mit jemandem etwas nicht in Ordnung war, wenn er krank war oder eine besondere Sorge mit sich trug...“

„Und wenn er sich auf andere Menschen bezog, wie machte er das?“

„ Er war sehr feinfühlig in allem, was sich auf andere bezog. Er etikettierte niemanden und teilte die Menschen auch nicht in gute und böse ein. Bevor er eine Entscheidung traf, bat er darum, „alle Glocken zu hören“, um sich nicht von einem einzigen Gesichtspunkt leiten zu lassen.“

„Die Einen betonen das Merkmal eines unermüdlichen Dieners der Kirche, andere seine Statur als Gründer, wieder andere seine Menschlichkeit...“

„Diese Aspekt schließen sich gegenseitig nicht aus, sie sind vielmehr eng miteinander verknüpft und gehen alle von der großzügigen Antwort des heiligen Josefmaria auf die empfangene Berufung und von seiner großen Liebe zu Christus und der Kirche aus. Von Anfang an trug er das „Omnes com Petro ad Iesum per Mariam“ (Alle zu Jesus mit Petrus durch Maria!) im Herzen, er schrieb es häufig nieder wie einen Schrei aus tiefster Seele. Sein großer Wunsch war es, der Kirche zu dienen, darin sah er auch die Aufgabe des Opus Dei.“

„Wer war der heilige Josefmaria für Sie?“

„Wer er für mich war? Ein Vater, dem ich alles verdanke. Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn ich den heiligen Josefmaria nicht kennen gelernt hätte. Von ihm habe ich gelernt, Gott, die Kirche und den Papst zu lieben, jeden Tag von neuem zu beginnen, den anderen – angefangen bei den Menschen, mit denen man zusammen lebt – in Freude zu dienen und mögliche Müdigkeit angesichts der scheinbaren Monotonie des Alltags zu überwinden.“

Marlies Kücking ist davon überzeugt, dass „wenn die Kirche erklärt, dass ein Diener Gottes, die Vollkommenheit der Heiligkeit erreicht hat, sie quasi von neuem den Geist, den er von Gott erhalten hat und nach dem er sich selbst geheiligt hat, „heiligspricht“ (wenn man das so sagen kann)“.

Interview von José Joaquín Iriarte in der Zeitschrift „Mundo Christiano“, Spanien