Josemaría Escrivá und der Nationalsozialismus

Ein Brief des Ingenieurs und Rechtsanwalts Domingo Díaz-Ambrona an Bischof Álvaro del Portillo, den Prälaten des Opus Dei, vom 9. Januar 1992. Dort berichtet er u.a. über eine Begegnung mit Josemaría Escrivá, bei der dieser zuverlässige Informationen über die Lage der Kirche und der Katholiken unter Hitler erkennen ließ und jenes antichristliche Regime entschieden ablehnte.

Ein Brief des Ingenieurs und Rechtsanwalts Domingo Díaz-Ambrona an Bischof Álvaro del Portillo, den Prälaten des Opus Dei, vom 9. Januar 1992.

Ich habe den zukünftigen Seligen (Josemaría Escrivá) während des Spanischen Bürgerkriegs kennengelernt. Zu der Zeit war ich Flüchtling und hatte mit meiner Frau in der kubanischen Botschaft Unterschlupf gefunden. Es war just die Zeit, als meine Tochter Guadalupe zur Welt kommen sollte. Am 3. September 1937 wurde sie im Sanatorium Riesgo, das heute nicht mehr existiert, geboren. Das Sanatorium stand damals unter dem hoheitlichen Schutz Englands. Aufgrund der Umstände konnten wir das Kind nicht taufen lassen, und ich erzählte dies meinem guten Freund José María Albareda.

Nach einigen Tagen sagte er mir, ein Freund, der Priester sei, werde vorbeikommen und könne die Kleine taufen. Da ich darauf vertraute, daß uns die englische Flagge schützte, lud ich die Paten und einige Freunde zur Taufe ein. Der Priester kam um fünf Uhr nachmittags, zwei Stunden früher als eigentlich vorgesehen. Er hielt sich nur so lange auf, wie die Taufe dauerte. Alles ging so schnell, daß wir ihn nicht einmal nach seinem Namen fragten. Erst später erfuhr ich, daß es sich um Msgr. Escrivá gehandelt hatte. Für uns alle war sein Verhalten in so schwierigen Momenten eine Lektion der Klugheit. Ich versuchte noch, ihn aufzuhalten, er antwortete aber nur noch: „Ich muß für viele Menschen dasein.“

Erst später ging mir auf, daß es für einen Priester damals schwierig und bei der politischen Lage und seinen fragwürdigen Ausweispapieren sehr gefährlich war, sich apostolisch so intensiv zu betätigen: Er hörte Beichte – nicht selten unter Lebensgefahr, hielt Tage der geistlichen Besinnung, wobei er ständig den Aufenthaltsort wechselte, und kümmerte sich um eine Gruppe von Ordensfrauen, die besonders unter der Verfolgung zu leiden hatten.

Aber, wie gesagt, zu der Zeit wußte ich nicht, um wen es sich handelte. Das erfuhr ich erst später, im August 1941, bei einer zufälligen Begegnung im Zug Madrid-Avila. Ich reiste in Begleitung meiner Frau und meiner inzwischen vierjährigen Tochter. Don Josemaría hatte uns wiedererkannt, kam daraufhin in unser Abteil und sagte: ‚Dieses Mädchen habe ich getauft.’ Wir begrüßten uns, er stellte sich vor und wir sprachen eine Weile über die politische Lage. Wir lebten ja in einem dramatischen Augenblick der europäischen Geschichte. Ich kann mich daran erinnern, daß ich möglichst schnell nach Navas de Marqués kommen wollte, um aus dem Radio zu erfahren, wie weit die deutschen Truppen nach Rußland vorgestoßen waren.

Ich bemerkte ihm gegenüber, ich sei gerade von einer Reise aus Deutschland zurück und hätte dort die Angst der Katholiken feststellen können, ihre religiöse Überzeugung öffentlich zu bekennen. Das hatte mich dem Nationalsozialismus gegenüber mißtrauisch gemacht. Wie vielen Spaniern waren auch mir die Schattenseiten des nationalsozialistischen Systems und seiner Weltanschauung nicht so recht bewußt. Das lag an der starken Propaganda Deutschlands, das sich als Bollwerk gegen den Kommunismus ausgab, den es am Ende auslöschen würde. Ich fragte ihn nach seiner Meinung.

Ich war dann aus den genannten Gründen sehr überrascht von der entschiedenen Antwort jenes Priesters, der zuverlässige Informationen über die Lage der Kirche und der Katholiken unter Hitler hatte. Vehement äußerte sich Msgr. Escrivá ablehnend gegenüber jenem antichristlichen Regime. Aus der Festigkeit, mit der er redete, sprach eine große Liebe zur Freiheit. Ich muß betonen, daß es in jener Epoche in Spanien nicht leicht war, jemanden zu finden, der derart entschlossen das nationalsozialistische System verurteilte und so klar seine antichristlichen Wurzeln aufdeckte. Das Gespräch in jenem entscheidenden Augenblick, als man die Naziverbrechen noch wenig kannte, blieb deshalb tief in mir haften.

Später erzählte ich meinem Freund José María Albareda davon und erfuhr dann, daß ich mit dem Gründer des Opus Dei gesprochen hatte.

Ich selbst gehöre nicht dem Opus Dei an. Aber aufgrund meiner eigenen Erfahrung kann ich versichern, daß, wer immer eine anderslautende Ansicht darüber äußert, wie Josemaría Escrivá de Balaguer über diese Angelegenheit dachte, nicht anderes sucht, als auf billige Art das heiligmäßige Leben des künftigen Seligen in Mißkredit zu bringen, der ein großer Freund der Freiheit war.

Entnommen aus: Álvaro del Portillo, “Über den Gründer des Opus Dei”, Köln 1996, S. 33-36