Warum liebte er die Freiheit?

Die Liebe zur Freiheit, über die der Gründer des Opus Dei häufig sprach, entsprang seiner Überzeugung nach der Wirklichkeit, dass Christus am Kreuz starb, um uns die wahre Freiheit zu gewinnen. Im folgenden Artikel analysiert Prof. Luís Clavell diesen Zusammenhang.

Ausschnitt aus der Kreuzigungsszene des Altarbildes der Wallfahrtskirche von Torreciudad

Die Liebe zur Freiheit, über die der Gründer des Opus Dei häufig sprach, entsprang seiner Überzeugung nach der Wirklichkeit, dass Christus am Kreuz starb, um uns die wahre Freiheit zu gewinnen. Im folgenden Artikel analysiert Prof. Luís Clavell diesen Zusammenhang.

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"Ich gehe wie Diogenes mit der Laterne umher auf der Suche nach der Freiheit"

Vom weisen Diogenes wird erzählt, dass er mit einer Laterne durch die Straßen irrte, und nach jemandem suchte, der wirklich frei und er selbst war. Auf diese Geschichte bezog sich der hl. Josefmaria.

Im Frühjahr 1974, ein Jahr bevor der Herr ihn zu sich rief, hatte er ein Treffen mit Jugendlichen verschiedener Nationalitäten, bei dem er erneut auf lockere Art und Weise, sehr lebendig und angenehm dieselben Gedanken äußerte: Im vergangenen Jahrhundert haben unsere Großeltern – in eurem Fall wahrscheinlich die Urgroßeltern – noch um die persönliche Freiheit gerungen. Sie hatten vielleicht eine allzu romantische Vorstellung davon. Sie brachten Opfer dafür und kämpften für die Demokratie, von der sie träumten. Es sollte eine persönliche Freiheit sein, die mit persönlicher Verantwortung verbunden war. In der Tat muss man die Freiheit lieben, die mit persönlicher Verantwortung einhergeht. (...) Ich bin wie Diogenes mit der Laterne unterwegs auf der Suche nach ihr und kann sie leider nirgendwo finden. (...) Vielleicht bin ich einer der letzten noch verbliebenen Romantiker, weil ich die persönliche Freiheit aller Menschen liebe – auch die Freiheit der Nichtkatholiken.“

Die Freiheit der Kinder Gottes und ihre Beziehung zum Kreuz

Die Überlegungen des hl. Josefmaria bezieht sich auf die persönliche Freiheit und die daraus folgenden Konsequenzen. Einerseits auf die radikale oder fundamentale Freiheit und andererseits auf die daraus sich ableitenden Freiheiten, wie sie meistens genannt werden.

Es sind zwei Aspekte, die sich überschneiden und immer gemeinsam auftreten. Wie ich schon anfangs sagte, besteht einer der Verdienste des hl. Josefmaria darin, dass er hier wie in vielen anderen Bereichen Lehre und Leben miteinander in Einklang brachte.

Ich liebe die Freiheit der anderen, eure und die dessen, der gerade vorbeigeht. Wenn ich sie nicht lieben würde, könnte ich die meine nicht verteidigen. Obwohl das nicht der hauptsächliche Grund ist.

Er hat es verstanden viele konkrete Äußerungen der Freiheit auf den verschiedensten Gebieten neu zu betonen, und das in einer Zeit, die das tendenziell nicht begünstigte. In der bereits erwähnten Bibliographie kommen in ausreichender Zahl diesbezügliche Überlegungen zum Tragen. Es fehlt hier allerdings die Beziehung zwischen Freiheit und Kreuz, die in diesem Artikel erläutert werden soll.

Einige Textstellen laden besonders dazu ein. Vor allem die Äußerung des Autors im Frühjahr 1974, wo er unterstreicht, dass ein entscheidendes Element, seiner Liebe zur Freiheit der Tod Christi am Kreuz ist. „Ich liebe die Freiheit der der anderen, die eure und die desjenigen, der gerade vorbeigeht, denn wenn ich sie nicht liebte, könnte ich die meine nicht verteidigen. Das ist aber noch nicht der hauptsächliche Grund. Der liegt darin, dass Christus am Kreuz starb, um uns die Freiheit zu erwerben und wir so geboren würden in libertatem gloriae filiorum Dei – zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes (Röm 8, 21).“

In seiner Art, die Verbindung zwischen Freiheit und Kreuz herzustellen, fließen Theologie, persönliches Gebet und – zum Teil sehr intensive – geistliche Erfahrungen zusammen, vor allem aber sein Bewusstsein der Gotteskindschaft.

Der Gründer des Opus Dei benutzte oft den Ausdruck „die Freiheit der Kinder Gottes”. Auf diese Weise legte er den Akzent auf die Beziehung der Freiheit zur Gotteskindschaft. In ihr sah er das Fundament des geistlichen Lebens. Deshalb wiederholte er unermüdlich: „Jeden Tag habe ich größere Sehnsucht danach, lauthals diesen unschätzbaren Reichtum des Christen zu verkünden, befreit zu sein zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes (Röm 8, 21).“ Ebenso charakteristisch für ihn ist jedoch seine Art die Freiheit als ein göttliches Geschenk zu verstehen, das uns durch das Kreuz zuteil wurde,. So unterstreicht er „die Liebe zur Freiheit, die uns Christus sterbend am Kreuz errungen hat“(vgl. Gal 4, 31).

Manchmal tauchen beide Aspekte – zu einem die Freiheit der Kinder Gottes sowie die Referenz zu Christus am Kreuz – gemeinsam auf, indem er Bezug nimmt auf die von Paulus verfassten Texte im Römer- und Galaterbrief. „Meine Kinder, wir sind eine zahlreiche und sehr unterschiedliche Familie, die wächst und sich beständig weiter entwickelt in libertatem gloriae filiorum Dei (Röm 8, 21), qua libertate Christus nos liberavit (Gal 4, 31), zu der herrlichen Freiheit, die Christus uns erlangt hat, indem er uns aus der Knechtschaft befreite. Unseren Geist prägt die persönliche Freiheit.”

In seiner Art, die Verbindung zwischen Freiheit und Kreuz herzustellen, fließen Theologie, persönliches Gebet und – zum Teil sehr intensive – geistliche Erfahrungen zusammen, vor allem aber sein Bewusstsein der Gotteskindschaft. Deshalb befinden sich die aussagekräftigen Stellen darüber in Schriften, die sich direkt auf seine persönliche Begegnung mit Christus beziehen, wie in seinen Kommentaren zum Kreuzweg und den schmerzhaften Geheimnissen des Rosenkranzes.

Luís Clavell ist ordentlicher Professor für Philosophie an der Päpstlichen Universität vom Heiligen Kreuz, en Roma.

Quelle Romana, Juli - Dezember 2001. Der Verfasser spricht vom "Seligen Josefmaria", weil der Text vor der Heiligsprechung von Josemaría Escrivá geschrieben wurde.