Die Rückkehr in mein Elternhaus

Irena Kalpas, Polen.

Weder kannte ich den hl. Josefmaria noch hatte ich je von ihm gehört – aber vielleicht kannte er mich ja bereits. Jedenfalls trafen wir am Jahrestag seines Todes, am 26. Juni, ungefähr um 11 Uhr morgens in der Filtrowa-Straße in Warschau zusammen.

Irena Kalpas in ihrem Haus

Vor 66 Jahren wurde ich mit meiner Familie aus Polen vertrieben. Danach war ich niemals mehr in den Stadtteil zurückgekehrt, in dem ich als Kind gelebt hatte. So wusste ich auch nicht, dass mein Geburtshaus noch stand.

Bis ich eines Tages, der für mich damals einer wie jeder andere war, dorthin kam, wo mir etwas begegnete, das mein Leben veränderte. An diesem 26. Juni 2002 trat die Botschaft von der Möglichkeit, mitten in der Welt heilig zu werden, in mein Leben. Weder kannte ich den hl. Josefmaria noch hatte ich je von ihm gehört – aber vielleicht kannte er mich ja bereits. Jedenfalls trafen wir an eben diesem Jahrestag seines Todes um ca. 11 Uhr morgens in der Filtrowa-Straße in Warschau zusammen. Zu diesem Zeitpunkt öffnete ich das Gittertor zum Garten des Hauses, aus dem ich von 58 Jahren – am 11. August 1944, also mitten im Krieg – mit meiner Familie vertrieben worden war.

Während all dieser Jahre war ich nie zu unserem Haus zurückgekehrt, diese Welt war für mich endgültig vergangen. Die Erinnerung an die ermordeten Verwandten war einfach zu schmerzlich. In meinem neuen einsamen Dasein nach dem Krieg hatte ich nie, nicht ein einziges Mal, Lust verspürt, zu dieser Straße zu gehen. Nur mit meinem Gebet versetzte ich mich dorthin.

Warschau im Krieg

Aber dann durchschritt ich – unbeabsichtigt, planlos – diese Straße von Anfang bis Ende und stand plötzlich vor dem Eingang unseres Hauses. Und dann, es war wie im Traum, aber ganz und gar real, lud mich jemand ein, hineinzukommen. Ich betrat den Flur, unser Wohnzimmer, das Esszimmer – alles war natürlich anders aufgeteilt, aber das machte nichts –, und mit einem Mal stand ich in einer wunderschönen Kapelle. Das war für mich ein Schock. Heute sehe ich ganz klar, dass es ein Wunder war, und dass der hl. Josefmaria mich dahin gebracht hatte.

Anders hätte ich das Opus Dei nie kennen gelernt. Der Eindruck war unbeschreiblich: In unserem ehemaligen Haus gab es eine Kapelle! Genau da, wo der Esstisch gestanden hatte um den herum meine Mutter und meine Tante – die in der Gaskammer eines Konzentrationslagers starb – arbeiteten, steht jetzt der Altar, wo Jesus im Tabernakel zugegen ist. Und von dem Bild aus, das an einer Seitenwand hängt, lächelt – mit seinem sympathischen und klugen Lächeln – der hl. Josefmaria. In diesem Augenblick wurde mir bewusst, dass dies ein Haus des Opus Dei war, wo Studenten lebten.

Bis zu diesem 26. Juni wusste ich noch nichts vom hl. Josefmaria. Wenige Monate nach dieser Entdeckung war ich bereits – so wage ich zu sagen – von ihm und seinem Geist eingenommen.

Ein Schritt nach vorn

Ich glaube, der hl. Josefmaria hat mir nicht nur diese bewegenden Momente zuteil werden lassen, sondern mir geholfen, einen großén Schritt nach vorn in meiner Welt Nr. 1, das heißt in meinem inneren Leben zu tun. Ich empfand eine so große Dankbarkeit ihm gegenüber, dass ich den starken Wunsch verspürte, sein Leben und den Geist des Opus Dei kennen zu lernen. Und so begann ich, seine Biographie zu lesen und mich mit seinen Gedanken und Schriften zu beschäftigen. Das Buch Freunde Gottes ist seither mein täglicher Begleiter.

Ansicht von Warschau

Der hl. Josefmaria ist mir in seine Art zu denken, seinem Alltag und seinem kindlichen Umgang mit Gott unglaublich vertraut. Das ist wirklich ein Werk Gottes!

Ich bin schon alt und habe viele schwierige Situationen durchgemacht, aber ich habe mich immer von Gott beschützt gefühlt. Immer ist mir der Glaube eine Stütze gewesen. Und später auch meine Begegnung mit dem Opus Dei.

Ganz offensichtlich war es der hl. Josefmaria, der mich an jenem Tag zu meinem früheren Elternhaus geführt hat. Von da an habe ich intensiv die christlichen Bildungsmittel, die das Werk anbietet, genutzt. Im folgenden Jahr schenkte mir Gott die enorme Gnade der Berufung. Jeden tag empfinde ich ein stärkeres inneres Bedürfnis, alles weiter zu geben, was Gott mir geschenkt hat. Ich möchte allen von meiner Entdeckung erzählen, von diesem Schritt von einem tristen Leben zu einem Leben mit Gott mitten im Alltag.

Von damals bis heute

Nach und nach ist mir der Geist des Werkes immer vertrauter geworden, ich habe ihn tiefer verstanden und schätze auch den Inhalt der geistlichen Bildung noch mehr. Die Frömmigkeitsübungen, deren Sinn sich mir auch im Laufe der Zeit immer mehr erschlossen hat, sind inzwischen für mich nicht mehr eine Verpflichtung, sondern ein inneres Bedürfnis, ebenso der Wunsch, den anderen von diesem göttlichen Weg zu erzählen, besonders jungen Leuten.

Mit der Zeit erfüllte mich das Bewusstsein der beständigen Gegenwart Gottes mit einer ungeheuren Freude. Wenn ich gefragt werde, was mich am meisten am Geist des Werkes angezogen hat, dann antworte ich ohne Zögern: diue Freude, jeden Augenblick des Tages mit Gott zu leben, ihn in jeder Sache zu entdecken, was nichts anderes bedeutet. Als mit dem Blick auf die Heiligkeit zu leben, ganz ohne Dramatik, in aller Natürlichkeit. So jedenfalls lebe ich und versuche ich, es den Menschen in meiner Umgebung zu vermitteln. Tief in meiner Seele verspüre ich den Wunsch, zu singen und laut zu schreien: Leute! Seht ihr nicht, wie viel Gott euch schenkt?

Heute, im Alter und ohne Angehörige...danke ich Gott und dem hl. Josefmaria, dass sie mir den Weg gebahnt haben, Teil dieser wunderbaren Familie zu sein.