Salz, Licht und Sauerteig

Dieser posthum erschienene Artikel wurde von Bischof del Portillo im Jahre 1989 vorbereitet. Darin möchte er "zwei Umstände besonders hervorheben, die sozusagen die Angelpunkte im Leben der meisten Menschen darstellen: die Arbeit und die Familie."

Dieser posthum erschienene Artikel wurde von Bischof del Portillo im Jahre 1989 vorbereitet. Darin möchte er "zwei Umstände besonders hervorheben, die sozusagen die Angelpunkte im Leben der meisten Menschen darstellen: die Arbeit und die Familie."

Die Aufgabe der Laien in der Sendung der Kirche

Der Auftrag, den eine Handvoll Männer auf dem Ölberg nahe bei Jerusalem an einem Frühlingsmorgen etwa im Jahr 30 unserer Zeitrechnung erhielt, hatte alle Kennzeichen einer „unmöglichen Mission“. „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird, und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samaria und bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1, 8). Die letzten Worte, die Christus vor seiner Himmelfahrt gesprochen hat, schienen unsinnig. Von einem verlorenen Winkel des römischen Weltreiches aus sollten einige einfache Männer – weder reich, noch gelehrt, noch einflußreich – der ganzen Welt die Botschaft eines Hingerichteten bringen.

Weniger als dreihundert Jahre danach hatte sich ein großer Teil des römischen Weltreiches zum Christentum bekehrt. Die Lehre des Gekreuzigten hatte gesiegt über die Verfolgungen der Staatsmacht, die Verachtung der Gelehrten, die Widerspenstigkeit gegen moralische Forderungen, welche den Leidenschaften entgegenstanden. Und trotz aller Umwälzungen der Geschichte ist das Christentum heute weiterhin die stärkste geistliche Macht der Menschheit. Nur die Gnade Gottes kann dies erklären.

Aber die Gnade hat durch Männer gewirkt, die sich ihrer Sendung bewußt waren und sie erfüllt hatten.

Christus hat seinen Jüngern ihre Aufgabe nicht als eine Möglichkeit vor Augen gestellt, sondern als einen gebieterischen Auftrag. So lesen wir beim Evangelisten Markus: „Geht hinaus in alle Welt und predigt das Evangelium allen Geschöpfen. Wer glaubt und sich taufen läßt wird gerettet werden; wer aber nicht glaubt, wird verdammt sein“ (Mk 16, 15-16). Und der heilige Matthäus berichtet die folgenden Worte Christi: „Geht hin und lehrt alle Völker und tauft sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie alles zu halten was ich euch geboten habe. Ich werde bei euch sein bis zum Ende der Welt“ (Mt 28, 19-20). Wir werden an die Worte Christi beim letzten Abendmahl erinnert: „Wie Du mich in die Welt gesandt hast, so sende ich sie in die Welt“ (Joh 10, 18). Dazu hat das II. Vatikanische Konzil folgenden Kommentar gegeben: „Dieses feierliche Gebot Christi, die Erlösung so zu verkündigen, hat die Kirche von den Aposteln empfangen mit dem Auftrag, es bis an die Grenzen der Erde zu bringen“ .

Eine Aufgabe für alle

Wenn man von der Sendung der Kirche spricht, besteht die Gefahr zu vermuten, sie betreffe nur diejenigen, die vom Altar aus sprechen. Aber die Sendung, die Christus seinen Jüngern anvertraut, soll durch alle, die die Kirche bilden, zur Vollendung geführt werden.

Alle haben einmütig an der gemeinsamen Aufgabe mitzuarbeiten, jeder entsprechend seiner besonderen Lebenslage . „Die christliche Berufung“, so präzisiert das II. Vatikanische Konzil, „ist ihrer Natur nach auch Berufung zum Apostolat [...]. In der Kirche besteht eine Verschiedenheit des Dienstes, aber eine Einheit der Sendung. Den Aposteln und ihren Nachfolgern ist von Christus das Amt übertragen worden, in seinem eigenen Namen und mit seiner Vollmacht zu lehren, zu heiligen und zu leiten. Die Laien hingegen, die auch am priesterlichen, prophetischen und königlichen Amt Christi teilhaben, verwirklichen in Kirche und Welt ihren eignen Anteil an der Sendung des ganzen Gottesvolkes.“ Jeder Christ ist durch die Taufe Christus ähnlich geworden und hat an seiner Erlösungsaufgabe Anteil. Es ist Pflicht aller und jedes einzelnen Getauften, aktiv bei der Weitergabe des von Jesus an die Menschen aller Zeiten verkündeten Gotteswortes mitzuwirken.

Die apostolische Dimension der christlichen Berufung war im Leben der Kirche immer gegenwärtig. Aber lange Zeit schien die Verwirklichung ihrer Heilsaufgabe nur einigen wenigen Christen anvertraut zu sein. Der Rest blieb dabei eher passiv. Das II. Vatikanische Konzil hat dagegen eine Rückkehr zu den Anfängen vollzogen, als es mehrfach herausstellte, daß die Berufung zum Apostolat an alle ergangen ist. Diese Berufung stellt nicht nur eine Möglichkeit unter anderen dar, sondern wird zu einer echten Pflicht: „Deshalb ist allen Christen die ehrenvolle Last auferlegt, mitzuwirken, daß die göttliche Heilsbotschaft überall auf Erden von allen Menschen anerkannt und angenommen wird“ .

Wo nur die Laien hingelangen

Entspricht aber nun den Laien ein konkreter Bereich innerhalb dieser Sendung? Das II. Vatikanische Konzil hatte schon einige genaue Orientierungen gegeben. „Die Laien“, so liest man in der Kirchenkonstitution Lumen gentium, „sind von Gott dazu berufen, ihre eigentümliche Aufgabe vom Geist des Evangeliums geleitet auszuüben, wie ein Sauerteig zur Heiligung der Welt gewissermaßen von innen her beizutragen und so, vor allem durch das Zeugnis ihres Lebens, durch die Leuchtkraft ihres Glaubens, ihrer Hoffnung und ihrer Liebe Christus den anderen kund zu machen“ . Und weiter: „Die Laien sind besonders dazu berufen, die Kirche an jenen Stellen und in den Verhältnissen anwesend und wirksam zu machen, wo die Kirche nur durch sie das Salz der Erde werden kann“ . Das heißt, die Kirche ist in einem Krankenhaus nicht nur gegenwärtig durch den Krankenhausseelsorger. Sie ist auch durch die Gläubigen tätig, die dem Patienten als Ärzte oder Krankenpfleger professionell qualifiziert dienen sowie aufmerksam und menschlich mit ihnen umgehen. In einem Wohnbezirk wird die Kirche immer ein unverzichtbarer Bezugsort sein; will man aber zu denen gelangen, die sie nicht besuchen, kann dies nur durch andere Familien geschehen.

Das Apostolische Mahnschreiben Christifideles laici faßt die Arbeit der Bischofssynode von 1987 zusammen und vertieft ihre Lehre. In Bezug auf die Aufgabe der Laien erinnerte der Papst darüber hinaus „vor allem an zwei Versuchungen, denen sie nicht immer widerstanden haben: Die Versuchung, ihr Interesse so stark auf die kirchlichen Dienste und Aufgaben zu konzentrieren, daß sie sich praktisch oft von ihrer Verantwortung im Beruf, in der Gesellschaft, in der Welt der Wirtschaft, der Kultur und der Politik dispensieren; und die Versuchung, die zu Unrecht bestehende Kluft zwischen Glaube und Leben, zwischen der grundsätzlichen Annahme des Evangeliums und dem konkreten Tun in verschiedenen säkularen und weltlichen Bereichen zu rechtfertigen“.

Im Gegensatz zu diesen beiden Extremen hat der Papst darauf verwiesen, daß das Unterscheidungsmerkmal der Laien der „Weltcharakter“ ist, denn Gott hat sie dazu gerufen „sich selbst zu heiligen in der Ehe oder in der Ehelosigkeit, in der Familie, im Beruf und in den verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens“.

So hat die Synode versucht, diese vom Papst genannte doppelte Gefahr zu vermeiden: Um den Einsatz der Laien in den zeitlichen Wirklichkeiten anzuregen, verwirft sie die Versuchung, sich angesichts einer feindlichen oder gleichgültigen Gesellschaft in die Strukturen der Kirche zurückzuziehen. Zugleich will sie einer Auflösung der christlichen Identität entgegenwirken, indem sie den engen Zusammenhang zwischen Glaube und Leben herausstellt. Um „Salz der Erde“ zu sein, muß man in dieser Welt bleiben, darf aber auch nicht „schal“ werden.

Somit ist die spezifische Sendung der Laien klar umschrieben: Die Botschaft Christi soll in alle irdischen Bereiche – Familie, Beruf, soziale Aktivitäten – hineingetragen werden und sie mit der Hilfe der Gnade in Gelegenheiten zur Begegnung Gottes mit den Menschen verwandeln.

Die ersten Christen

Es wäre jedoch nicht wirklichkeitsgerecht, alles bisher Ausgeführte als Neuerungen nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil anzusehen. Die Christen der ersten Stunde, diejenigen die mit Jesus und den Aposteln zusammen oder bald nach ihnen gelebt haben, waren sich ihrer Sendung klar bewußt. Ihre Bekehrung führte sie zu einem größeren Einsatz für die Aufgaben, die ihrer Stellung in der Welt entsprachen. So schreibt z. B. Tertullian: „Wir leben wie die anderen Menschen. Wir halten uns nicht fern von öffentlichen Plätzen, von Metzgereien, von Bädern, Bazaren und Werkstätten, Gasthäusern, Märkten und sonstigen Geschäften. Auch fahren wir zusammen mit euch zur See, sind wie ihr Soldaten, arbeiten auf dem Feld, treiben Handel, unser Können und unsere Erzeugnisse stellen wir euch zur Verfügung“ .

In einem ehrwürdigen Dokument des christlichen Altertums lesen wir: „Die Christen unterscheiden sich nicht von den übrigen Menschen; nicht durch ihre Heimat, nicht durch ihre Sprache, nicht durch ihre Gebräuche. Denn nirgendwo bewohnen sie eigene Städte, noch sprechen sie irgendeine abweichende Sprache, noch führen sie ein auffallendes Leben. […]. Obwohl sie griechische oder barbarische Städte bewohnen, je nachdem wie es einen jeden getroffen hat, und sich in Kleidung, Ernährung und der übrigen Lebensweise den Bräuchen und Gewohnheiten des Landes anpassen, geben sie doch Zeugnis einer bewundernswerten und anerkanntermaßen besonderen Lebensführung.“ Was kurz darauf in demselben Dokument steht, läßt uns verstehen, daß die ersten Christen, während sie in ihrer jeweiligen Situation blieben, doch ihre Haltung bemerkenswert verändert hatten. „Sie heiraten wie alle, zeugen und gebären Kinder wie alle; aber sie setzen die Neugeborenen nicht aus […]; im Fleisch leben sie, aber sie leben nicht nach dem Fleisch. Auf Erden weilen sie, aber im Himmel sind sie Bürger. Sie gehorchen den erlassenen Gesetzen, aber mit ihrer eigenen Lebensweise überbieten sie die Gesetze […]. Kurz gesagt: Genau das, was die Seele für den Leib ist, das sind die Christen in der Welt“.

Als Konsequenz dieser apostolischen Einsatzfreude hat sich das Christentum in kurzer Zeit erstaunlich verbreitet. Zweifellos haben unsere Brüder der Frühzeit mit der Gnade Gottes gerechnet. Doch wissen wir auch, daß ihre Haltung der Gnade in heroischer Weise entsprochen hat – und dies nicht erst, wenn sie sich dem Martyrium ausgesetzt sahen, sondern in allen Lebenslagen. So ist es nicht verwunderlich, wenn Tertullian schreiben konnte: „Wir sind von gestern und haben doch schon den Erdkreis und all das Eure erfüllt: die Städte, die Inseln, die Siedlungen, die Marktflecken, die Dörfer, das Heer, den Palast, den Senat, das Forum. Euch haben wir nur noch die Götzentempel gelassen“.

Der Geist des Opus Dei

Die allgemeine Berufung zu Heiligkeit und Apostolat ist also eine Wirklichkeit im Leben der ersten Christen, an die das letzte Konzil erinnert hat. Hier sei eine Abschweifung erlaubt, die mir wohl begründet scheint. Die allgemeine Berufung zu Heiligkeit und Apostolat liegt nämlich auch dem Geist des Opus Dei zugrunde. Seit 1928 hat sein Gründer, Josemaría Escrivá, unermüdlich wiederholt, daß Heiligung und Apostolat Recht und Pflicht jedes Getauften sind. So hat er z. B. im Jahre 1934 geschrieben: „Du bist verpflichtet, dich zu heiligen. – Auch du. – Wer soll glauben, das sei ausschließlich Sache der Priester und Ordensleute? Der Herr nahm keinen aus, als Er sagte: ‚Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist‘“. Und in Bezug auf das Apostolat schreibt er: „Die Welt hallt noch wider von dem göttlichen Ruf: ‚Feuer auf die Erde zu werfen, bin ich gekommen, und wie wünschte ich, daß es schon brenne?‘ – Und du siehst doch: fast überall ist es erloschen … Willst du dich nicht aufmachen, den Brand überall auszubreiten?“ Mit Recht kann man daher Prälat Escrivá als Pionier der Lehren des II. Vatikanischen Konzils in diesem Bereich betrachten.

Dies hat Kardinal Ugo Poletti im Einleitungsdekret des Seligsprechungsprozesses mit folgenden Worten klar zum Ausdruck gebracht: „Weil Prälat Josemaría Escrivá de Balaguer seit der Gründung des Opus Dei im Jahre 1928 die allgemeine Berufung zur Heiligkeit verkündet hat, ist er, gerade im Hinblick auf diese für das Leben der Kirche so fruchtbare Kernaussage des konziliaren Lehramtes, einmütig als dessen Vorläufer anerkannt worden“ .

Mit Beispiel und Wort

Angesichts einer zunehmend materialistischen Welt gleicht die Arbeit eines Christen des 20. Jahrhunderts der der ersten Jünger Christi: Er hat in Wort und Tat die Frohe Botschaft weiterzugeben.

Niemals können wir in diesem Leben die Wirkungen unseres Tuns – des guten Beispiels oder des gegebenen Ärgernisses – auf die Menschen, die in unserer Nähe sind, vollständig erkennen. Jeder Christ hat zunächst die wesentliche Verpflichtung, in Übereinstimmung mit seinem Glauben zu handeln, das heißt, selbst der Lehre gemäß zu leben, zu der er sich bekennt. „Ihr seid das Licht der Welt. Eine Stadt, die auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben, auch zündet man kein Licht an und stellt es unter den Scheffel, sondern man stellt es auf den Leuchter, damit es allen im Hause leuchte. So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater preisen, der im Himmel ist“ (Mt 5, 14-16).

Dennoch reicht das bloße Beispiel nicht. „Dieses Apostolat besteht nicht nur im Zeugnis des Lebens. Der wahre Apostel sucht nach Gelegenheiten, Christus auch mit seinem Wort zu verkünden, sei es den Nichtgläubigen, um sie zum Glauben zu führen, sei es den Gläubigen, um sie zu unterweisen, zu stärken und zu einem einsatzfreudigeren Leben anzuregen“ .

Dies ist keine Sache für Spezialisten. Das II. Vatikanische Konzil hat an die Verpflichtung jedes Laien zu einem besonderen Apostolat erinnert: „Das von jedem einzelnen zu übende Apostolat, das überreich aus einem wahrhaft christlichen Leben strömt, ist Ursprung und Voraussetzung für jedes Apostolat der Laien, auch des gemeinschaftlichen, und kann durch nichts ersetzt werden. Zu diesem Apostolat, das immer und überall fruchtbringend ist, aber unter bestimmten Umständen das einzig entsprechende und mögliche, sind alle Laien, wo immer sie stehen, gerufen und verpflichtet, auch wenn ihnen Gelegenheit und Möglichkeit fehlt, in Vereinigungen mit anderen zusammen zu arbeiten“ .

Die Gelegenheiten, in denen dieses Apostolat verwirklicht werden kann, sind zahllos: Tatsächlich muß das ganze Leben ein ständiges Apostolat sein. Dennoch möchte ich zwei Umstände besonders hervorheben, die sozusagen die Angelpunkte im Leben der meisten Menschen darstellen: die Arbeit und die Familie.

Mit der beruflichen Arbeit

Zu den verschiedenen Möglichkeiten der Menschen, miteinander in Kontakt zu treten und Freundschaften zu schließen, gehört zweifellos der Beruf. Zwar könnte dieses apostolische Umfeld eher begrenzt erscheinen, man sollte jedoch nicht vergessen, daß sich normalerweise gerade hier tiefe Vertrauensverhältnisse entwickeln, die es immer wieder erlauben, den Mitmenschen nachhaltig zur Seite zu stehen.

Einige Berufe – beispielsweise in der Lehre oder in den Medien – bieten die Gelegenheit, seine Erkenntnisse an Hunderte oder gar Tausende von Menschen weiterzugeben. Aber es wäre ein Irrtum zu denken, daß allein diese Berufe Gelegenheit zum Apostolat sein können. Vielmehr soll der Christ bei jeder Beschäftigung und unter allen Lebensumständen dazu beitragen, daß seine Mitmenschen ihrem Leben einen christlichen Sinn geben. Gewöhnlich braucht man keine großen Reden zu halten, sondern kann einfach umsetzen, was der Gründer des Opus Dei das „Apostolat der Freundschaft und des Vertrauens“ genannt hat und was er folgendermaßen beschrieben hat: „Diese Worte, zur rechten Zeit in das Ohr des unsicher gewordenen Freundes gesagt; das orientierende Gespräch, das du bei geeigneter Gelegenheit herbeizuführen wußtest; der berufliche Hinweis, der seine Arbeit an der Hochschule verbessert; und die diskrete Indiskretion, die seinem Suchen ungeahnte Horizonte erschließt … All das ist Apostolat des vertraulichen Gesprächs“ .

Solches Bemühen verwandelt sich in echtes Interesse für jeden Einzelnen und mündet normalerweise in das persönliche Gespräch unter Freunden. „Das christliche Apostolat – und ich meine hier konkret das Apostolat eines gewöhnlichen Christen, das Apostolat eines Mannes und einer Frau, die ohne Besonderheiten unter ihresgleichen leben – ist eine große Katechese, in der durch den persönlichen Umgang, durch eine echte und aufrichtige Freundschaft in den Mitmenschen der Hunger nach Gott geweckt und ihnen geholfen wird, einen ungeahnten Horizont zu entdecken: mit Natürlichkeit, mit Einfachheit, wie ich schon sagte, mit dem Beispiel gelebten Glaubens, mit einem liebenswürdigen Wort, aber erfüllt mit der Kraft der göttlichen Wahrheit“ .

Ein solches apostolisches Bemühen erfordert die freie und verantwortliche Initiative der Christen. Sie findet auch in dem Einsatz dafür ihren Ausdruck, daß die gesellschaftlichen Strukturen es den Mitmenschen erleichtern, Gott näher zu kommen. So wird die christliche Beseelung der zeitlichen Ordnung umgesetzt, die das Konzil, wie wir bereits angeführt haben, als die charakteristische Sendung der Laien betrachtet. In diesem Zusammenhang läßt sich der Appell verstehen, den der Papst in seinem nachsynodalen Apostolischen Schreiben Christifideles laici an die Laien gerichtet hat, die in Wissenschaft und Technik, in Medizin und Politik, in Wirtschaft und Kultur tätig sind. Sie sollen sich nicht von ihrer Verantwortlichkeit lossagen, die Welt menschlicher und so auch christlicher zu machen.

Dazu werden sie auf den Anregungen und Grundsätzen der kirchlichen Soziallehre aufbauen. Diese Lehre kann nur durch die Männer und Frauen mit Leben erfüllt werden, die ihre Arbeit – ganz gleich, ob in der Wallstreet oder in einem kleinen Vorortladen – als etwas Höheres begreifen als ein bloßes Mittel zum Gelderwerb oder zum persönlichen Aufstieg. Es geht um Bürger, die sich von einem Amt in ihrer Stadt oder von einer Initiativgruppe in ihrer Nachbarschaft aus darum bemühen, die Gesellschaft menschlicher zu machen. Es geht um Lehrer, die in der Universität oder in der Hauptschule im christlichen Sinne echte Kulturarbeit leisten.

Mit der Familie anfangen

Beim Apostolat kommt nicht nur dem Umfeld des jeweiligen Berufes sondern auch dem familiären Umfeld eine fundamentale Bedeutung zu. Für Eltern etwa ist das das wichtigste apostolische Feld, der Ort, an den sie Gott gestellt hat, damit sie mit der Erziehung ihrer Kinder eine Aufgabe erfüllen, die sie an niemanden abtreten können.

Die Familie ist „die erste und lebendige Zelle der Gesellschaft“. Von ihrer Gesundheit oder Krankheit hängt die Gesundheit oder Krankheit des ganzen sozialen Gefüges ab. Die Gesellschaft wird in dem Maße brüderlicher werden, wie die Menschen lernen, sich in der Familie füreinander aufzuopfern. Toleranz und Respekt in den zwischenmenschlichen Beziehungen hängen zutiefst davon ab, ob sich Eltern und Kinder verstehen. Die Treue im gesellschaftlichen Leben kann nur dann zunehmen, wenn sie auch unter den Eheleuten hochgeschätzt wird. Der Materialismus wird um so mehr nachlassen, je mehr sich das Glück der Familie nach anderen Maßstäben als dem Konsum bemißt.

Was die Sorge um die eigenen Kinder angeht, sei an die erstrangige Bedeutung des guten Beispiels erinnert. Bei einer der seltenen Gelegenheiten, bei denen Johannes Paul II. von sich selbst gesprochen hat, kam er auf seinen Vater zu sprechen: „Mein Vater war ein wunderbarer Mann, und fast alle meine Kindheits- und Jugenderinnerungen beziehen sich auf ihn [...]. Nur einfach gesehen zu haben, wie er sich hinkniete, hat einen entscheidenden Einfluß auf meine Jugendjahre ausgeübt. Er war so streng mit sich selbst, daß er es mit seinem Sohn nicht zu sein brauchte: Sein Vorbild genügte, um Disziplin und Pflichtgefühl zu lehren“.

Kardinal Luciani, der spätere Papst Johannes Paul I., schrieb einmal: „Die Eltern sind nämlich selbst das erste Glaubensbuch, in dem die Kinder lesen. Es hat schon sein Gutes, wenn der Vater zu seinem Sohn sagt: ‚Es ist gerade ein Beichtvater in der Kirche. Meinst du nicht, du könntest diese Gelegenheit nützen?‘ Besser aber ist es, wenn er sagt: ‚Ich gehe beichten; hast du Lust mitzukommen?‘“. Das Vorbild der Eltern prägt sich unauslöschlich in die Seelen ihrer Kinder ein, ganz gleich, worin es besteht: In der Treue zu den Freunden, in Arbeitsamkeit, Nüchternheit und Maß, in innerer Freude auch unter widrigen Umständen, in der Sorge für die anderen oder im großzügigen Teilen.

Zum guten Beispiel kommt der intensive Einsatz für die Erziehung. „Die Erziehung eurer Kinder ist euer wichtigstes Geschäft“, sagte der Gründer das Opus Dei gern, wenn er mit Geschäftsleuten sprach. Die Erziehung gelingt, wenn es die Eltern verstehen, Freunde ihrer Kinder zu werden. So können sich die Kinder von klein auf daran gewöhnen, ihrer Eltern zu vertrauen und ihnen bei jedem Problem ihr Herz zu öffnen. Der heilige Thomas Morus schrieb: „Wenn man nach Hause kommt, muß man mit seiner Frau sprechen, herzlich zu den Kindern sein und mit den Angestellten seine Eindrücke austauschen. All dies bildet einen Teil meines Lebens, weil es getan werden muß. Und es muß getan werden, wenn Du nicht ein Fremder im eigenen Haus sein willst. Wir müssen für die Menschen dasein, die die Natur, das Schicksal oder die man sich selbst zu Gefährten erwählt hat."

Der Rhythmus des modernen Lebens scheint eine solche Hingabe nicht gerade zu begünstigen. Wir haben immer mehr von allem Möglichen, aber wir haben keine Zeit. Deshalb können die Eltern leicht von der Arbeit absorbiert werden, obwohl sie eigentlich den edlen Wunsch haben, das Bestmögliche für die Zukunft der Kinder zu tun. Diese Zukunft wird jedoch mehr von der Zeit abhängen, die sie den Kindern persönlich widmen, als von dem Komfort, den sie ihnen bieten. Kinder beklagen sich meist weniger darüber, daß ihre Eltern ihnen zu wenig gegeben hätten, als darüber, daß sie es nicht verstanden, sich ihnen selbst zu geben.

Offenheit der Familie

Die eigene Familie ist ein weites Feld, und doch ist sie nicht alles. Ein Christ, der sich seiner Sendung als Sauerteig in der Gesellschaft bewußt ist, kann sich nicht mit der Sorge für die Seinen begnügen. Gewiß, in der Welt mit all ihrer Härte und ihrem Konkurrenzdenken ist es ganz normal, in der eigenen Familie die Zuneigung und die Sicherheit zu suchen, die außerhalb kaum zu finden sind. Auch ist es verständlich, wenn christliche Eltern versuchen, ihren Entwurf von Familie gegenüber heute gängigen Entwürfen, die von dem ihren gänzlich abweichen, abzugrenzen und zu schützen, . Und doch ist eine christliche Familie im Ansatz eine „offene“ Familie.

„Die Familie“,so hat Papst Paul VI. gesagt, „muß ähnlich wie die Kirche ein Raum sein, in dem das Evangelium weitergegeben wird und von wo es ausstrahlt [...]. Die Familie wird so viele andere Familien evangelisieren und auch die Umgebung, in der sie lebt“. Das Beispiel einer christlichen Familie, die bei all ihren Begrenzungen und Schwierigkeiten versucht, ihrem Ideal gemäß zu leben, ist immer attraktiv, auch vom rein Menschlichen her. Vor allem, wenn diese Familie aus einem apostolischen Geist heraus offen ist für die Freundschaft mit anderen – Eltern, Kollegen, Nachbarn, Freunden ihrer Kinder usw. So wird das Ideal Wirklichkeit werden, auf das Johannes Paul II. mit den Worten hingewiesen hat: „Die Hauskirche (Familie) ist dazu berufen, ein leuchtendes Zeichen der Gegenwart Christi und seiner Liebe zu sein, auch für die ‚Fernstehenden‘, für die Familien, die noch nicht glauben, und für jene christlichen Familien, die nicht mehr dem einst empfangenen Glauben entsprechend leben“ .

Andererseits ist jede Familie äußeren Einflüssen ausgesetzt, die von den Gesetzen, der Schule oder der öffentlichen Meinung ausgehen. Deshalb muß der Christ zum Schutz der eigenen wie der anderen Familien für ein familienfreundliches Klima in der Gesellschaft eintreten.

Im Apostolischen Schreiben Familiaris Consortio lesen wir: „Die Familien müssen sich als erste dafür einsetzen, daß die Gesetze und Einrichtungen des Staates die Rechte und Pflichten der Familie nicht nur nicht beeinträchtigen, sondern positiv stützen und verteidigen. In diesem Sinne muß bei den Familien das Bewußtsein wachsen, daß in erster Linie sie selbst im Bereich der sogenannten ‚Familienpolitik‘ die Initiative ergreifen müssen; sie sollen Verantwortung für die Umgestaltung der Gesellschaft übernehmen.“

Vor einer Neuevangelisierung

Die ersten Christen konnten die Gesellschaft ihrer Zeit verändern, weil sie all ihr Bemühen in den Dienst des Gebotes Christi stellten: „Daraufhin zogen sie aus und predigten überall, während der Herr bei ihnen war und ihr Wort mit den Wundern, die es begleiteten, bestätigte“ (Mk 16, 20).

An der Schwelle des dritten Jahrtausends, in einer Gesellschaft, die Gott wie besessen zu fliehen scheint, sind wir als Christen unserer Zeit dazu berufen, eine Neuevangelisierung zu verwirklichen, „gerade in den materiellen, weltlichen Aufgaben des menschlichen Lebens und aus ihnen heraus […]. Im Labor, im Operationssaal eines Krankenhauses, in der Kaserne, auf dem Lehrstuhl einer Universität, in der Fabrik, in der Werkstatt, auf dem Acker, im Haushalt, in diesem ganzen, unendlichen Feld der menschlichen Arbeit wartet Gott Tag für Tag auf uns. Seid davon überzeugt: Jede noch so alltägliche Situation birgt etwas Heiliges, etwas Göttliches in sich, und euch ist aufgegeben, das zu entdecken.“

Nach den Worten Papst Johannes Pauls II. wird dies nur „möglich, wenn es den gläubigen Laien gelingt, den Gegensatz zwischen dem Evangelium und dem eigenen Leben zu überwinden und in ihrem täglichen Tun, in Familie, Arbeit und Gesellschaft eine Lebenseinheit zu erreichen, die im Evangelium ihre Inspiration und die Kraft zur vollen Verwirklichung findet“ . Die Welt wartet auf Christen aus einem Guß. Gewiß, auch sie haben Fehler und unterliegen allen möglichen Irrtümern. Aber sie sind bereit, sich zu korrigieren, wenn das nötig ist, und auf dem Weg voranzuschreiten, der uns an der Hand der Jungfrau Maria zum himmlischen Vater führt durch Christus, der Weg, Wahrheit und Leben ist.

Erschienen in der Zeitschrift Mundo Cristiano (Spanien), April 1999