Was ist das Opus Dei?

Dr. Hans Thomas, Direktor des Lindenthal-Instituts in Köln, hat Aussagen von unterschiedlichsten Personen und Persönlichkeiten zusammengestellt, die eine facettenreiche Antwort auf diese Frage geben.

Moskau, Frühjahr 1980: Der orthodoxe Priester Alexandr Men, in dessen Gemeinde sich die Intelligentzia sammelt, trifft sich wie oft mit einem Kreis seiner Getreuen. Vater Alexandrs Ausführungen werden auf Tonband mitgeschnitten: „Seit einigen Jahrzehnten gibt es im Westen eine Bewegung namens Opus Dei, Werk Gottes. Es wurde von einem Portugiesen gegründet. Er heißt Josemaria Escrivá. Die Bewegung ist in der Welt weit verbreitet. Escrivá hat ein kleines Buch geschrieben, Der Weg: eine Sammlung von Aphorismen. Ich hoffe, dass wir es eines Tages übersetzen, damit Sie es lesen können. Escrivá sagt, dass Christsein nicht heißt, ein gut-bürgerliches Leben zu führen wie ein Heide, um dann sonntags vielleicht zwei Stunden der geistlichen Erhebung zu widmen. Christsein bedeute, es immer zu sein, jeden Tag, in den gewöhnlichsten Situationen und Dingen.“ Vater Aleksandr Men wurde zwei Jahre später ermordet. Seine eigenen geistlichen Schriften erreichen inzwischen allein in Russisch eine Gesamtauflage von 6 Millionen.

„Portugiese“: Unter sowjetischen Verhältnissen waren nähere Informationen wie die, dass Escrivá Spanier war, schwer zu erlangen. Mit einem der damals Anwesenden traf ich im Januar 2001 in Rom zusammen. Den Moskauer Dichter und Schriftsteller Aleksandr Zorin hatte Vater Aleksandr Men zum orthodoxen Christentum bekehrt und 1975 getauft. Alik Zorin hat mir das damalige Geschehen geschildert. In nachfolgenden öffentlichen Auftritten habe Vater Alexandr Men offen über Escrivá und die laikale Spiritualität des Opus Dei gesprochen.

Aexandr Zorin mit Freunden aus Russland auf dem Petersplatz

Aus Anlass des 100. Geburtstags des damals noch seligen Josemaría Escrivá richtete im Januar 2002 die Päpstliche Universität vom Heiligen Kreuz in Rom den Internationalen Kongress „The Grandeur of Ordinary Life“ aus, bei dem ich einen workshop zu leiten hatte. Ergänzend zu den philosophisch-theologischen Kongress-vorträgen sollten die workshops den Einfluss der Botschaft des - damals noch - seligen Josemaría im praktischen Leben und der beruflichen Arbeit konkreter Menschen sichtbar werden lassen: von Menschen unterschiedlichster Länder, Lebensbereiche und Berufe, in unserem Fall: von Künstlern. Titel: „Artistic Creativity“. (1) Der workshop versammelte Künstler von Moskau bis Vancouver. Zorin trug seine Geschichte bei.

I. Begegnung mit dem Opus Dei

Alik Zorin konnte bald eine Samizdat-Ausgabe einer russischen Übersetzung vom Weg erwerben. Genauer: die Durchschlagpapier-Kopie Nr. 5 einer Schreibmaschinenfassung, noch gerade lesbar, wenn er ein weißes Papier hinterlegte. Zuerst faszinierte ihn die literarische Dichte der Aphorismen, dann die unkonventionelle Verbindung von geistlicher Betrachtung und lebenspraktischer Herausforderung. Allerdings, so Zorin, sei ihm ein merkwürdiger Kontrast aufgefallen zwischen der modernen Direktheit. Dies habe er aber zunächst für einen Trick des Verfassers gehalten, um den KGB abzulenken. Mit der alten Kirchensprache vertraut, würde der KGB den Text gewiss unter „das Übliche“ ablegen.

Zorin hat der Text 20 Jahre begleitet. Er habe, sagt er, Entdeckung um Entdeckung gemacht. Das Buch habe seine Weltsicht verändert und sein Verhältnis zur eigenen Poesie revolutioniert. Mit Einführung der Marktwirtschaft sei beispielsweise Lyrik in Russland kaum noch verkäuflich gewesen, wurde folglich auch kaum noch gedruckt. Ein Dichter brauche aber ein Gegenüber, mit dem er im Dialog stehe, ein Publikum, das ihn legitimiere. Er habe damals begriffen, dass er, um seine Arbeit zu legitimieren, nicht mehr irgendeines Publikums draußen bedurfte. Vielmehr sei seitdem sein erstes Publikum und seine Jury jene höchste Autorität, der er auch sein Talent verdanke, Gott. Dabei erinnert er an die Erzählung des heiligen Escrivá, der in Burgos gern mit den jungen Leuten auf einen Turm der Kathedrale stieg und sie auf die Filigranarbeit des gotischen Maßwerks aufmerksam machte, wahre Wunderwerke, die von unten gar nicht zu sehen waren. (2)

„Für mich“ sagt Zorin, „ist Der Weg mehr als Literatur. Er leitet zum Handeln an, er ist eine Blaupause für die Umsetzung des Evangeliums ins Leben – von zeitloser Relevanz. (...) Was für Inhalte – so reich, so intim, so vertraut! Ich habe das Buch zu einem Stück von mir gemacht, zu meinem Ausgangspunkt! Mich

fasziniert sein stenographischer Stil – eine Stenographie des Geistes. Die wollte ich in meine poetischen Fassungen hineinholen.“

Zorin übertrug Teile vom Weg in Verse. Der Komponist Yuri Pasternak hat sie in Ton gesetzt. Vermutlich ist die orthodoxe Gemeinde, der Zorin angehört, heute der einzige Ort, wo Texte aus dem Weg gesungen werden.

Der hl. Josefmaria als Motiv einer russischen Ikone

Anfang der 1990er Jahre konnte man mitunter in der Presse von angeblich aufregenden strategischen Konzepten des Opus Dei in Osteuropa lesen. Der Wirklichkeit näher ist der Fall Alik Zorins, exemplarisch auch sein Wunsch nach näheren, auch persönlichen Kontakten. Er ist nicht der einzige. Nicht wenige Bischöfe in Ländern Osteuropas tragen den Wunsch vor, das Opus Dei möge in ihren Diözesen tätig werden. Es gibt bislang keine Niederlassung der Prälatur in Russland, aber mehr oder minder regelmäßige Reisen eines Laien und öfter auch eines Priesters von Helsinki nach Moskau und St. Petersburg. An einem Pontifikalamt von Erzbischof Kondrusiewicz zu Ehren des Seligen Josemaría in der St. Ludwigs-Kirche in Moskau im Januar 2002 nahmen 400 Personen teil. Alik Zorin war so überrascht wie erfreut.

Also: Was ist das Opus Dei? Ich nehme mir einfach heraus, hier gar nicht zu erklären, was eine Personalprälatur ist. Es ist zwar interessant und wichtig, weil in dieser vom II. Vatikanischen Konzil angestoßenen rechtlichen Neuschöpfung das Opus Dei eine seinem Wesen gemäße Einordnung in die Struktur der Katholischen Weltkirche gefunden hat. Es hat aber z. B. bei meiner Begegnung mit dem „Werk“ keine Rolle gespielt. Sollte jemand Zweifel haben, wie denn die katholische Kirche als solche nun eigentlich zum Opus Dei steht, mag der Hinweis darauf genügen, dass Papst Johannes Paul II. den Gründer am 6. Oktober heiliggesprochen hat. Es sei denn, der Zweifel bezieht sich mehr als auf das Opus Dei auf die Kirche selbst.

Bei mir selbst war es anders als bei Alik Zorin. Ich habe nicht zuerst Schriften des Gründers noch etwas über das Opus Dei gelesen. Ich bin, wenn ich ehrlich bin, auch gar nicht dem Opus Dei begegnet. Ich habe nur einige Personen kennen gelernt. Wir wurden Freunde. Natürlich haben sie mir vom Opus Dei, von „Berufung“, von Hingabe mitten in der Welt erzählt. Das fand ich gut, aber eher etwas für meinen Bruder Rolf, der für solche Dinge schon immer mehr „Antenne“ gehabt hatte. Katholisch war ich allerdings auch, und der Glaube war mir auch keineswegs gleichgültig.

Diese Freunde haben mich beeindruckt, vor allem einer. Und zwar mit meist ganz einfachen Dingen. Zum Beispiel steht der mitten in einer Unterhaltung oder während der Arbeit im Labor plötzlich auf und sagt: Es ist zwölf, beten wir den Engel des Herrn? Vielleicht hätte es gar keinen besonderen, sogar einen absonderlichen Eindruck auf mich gemacht, wenn ich ihn nicht als ein regelrechtes „Arbeitstier“ gekannt hätte und dennoch oft für mich soviel Zeit hatte, als hätte er kaum etwas zu tun. Fast immer gut gelaunt, steckte er mit seinem Optimismus an, ja feuerte an. Dinge, die mich bedrückt hätten,schien er einfach wegzustecken.

Religiöse Gespräche waren häufig - und immer sehr persönlich. Er war hartnäckig. Ich auch. Lange Zeit. Irgendwann fing die Sache an, mich „zu kratzen“. Dem Kontakt lieber aus dem Weg gehen? Feigheit! Denn das war mir klar: Nicht er, der Georg, war es, der mich „kratzte“. Derjenige, der „kratzte“, kratzte jedenfalls schließlich mit Erfolg. Dafür bin ich aber auch dem Georg noch heute dankbar.

Jesus beruft Fischer als seine Jünger

Offenbar bin ich kein Sonderfall: In North-Vancouver, Kanada, lebt Arnold Shives. Er ist Maler. Seit er 1972 katholisch wurde, sagt er, habe er zwar gebetet, aber seine Malerei habe damit und mit seinem Glauben irgendwie nichts zu tun gehabt. Das sei ihm selbst aufgefallen und habe ihn gestört. Im katholischen Milieu habe er dann den Eindruck gewonnen, eigentlich sollte er vielleicht auf religiöse Malerei umschalten. Dagegen habe er andererseits instinktiv eine Abneigung entwickelt. Irgendwie habe er gespürt, dass dies weder der Kunst noch dem Glauben gerecht werde. Von den Leuten vom Opus Dei, die er dann kennen lernte, hätte tatsächlich niemand ihm je gesagt, es sei besser, sich an religiösen Themen zu versuchen, geschweige denn einen Rat in die Richtung gegeben.

Vielmehr habe er durch sie begriffen, dass es darum gehe, in seiner gewohnten Atelierarbeit wie im sonstigen Alltagsleben Gott näher zu kommen und Umgang mit ihm zu pflegen.

II. Im Alltäglichen das Göttliche entdecken

Als Neubekehrter habe er an mancher Unordnung nicht nur in der Gesellschaft allgemein, sondern auch unter Katholiken Anstoß genommen. Das habe eine Sympathie für Traditionalisten heraufbeschworen. Dank der Freunde vom Opus Dei sei er auch aus diesem ungesunden Dunst bald herausgewesen. Zwei Entdeckungen hätten ihm dabei geholfen: Dass seine Arbeit nach den Worten des heiligen Josemaría „der Angelhaken unserer Heiligung“ ist, und dass er bei allem persönlichen Ungenügen dennoch Kind Gottes sei. Das sei wie klares, sonniges Wetter. Aber lassen wir ihn selbst sprechen: „Besonders ermutigend fand ich die Lehre des seligen Josemaría, was die Arbeit und die Freiheit anlangt. Er schob beiseite, was er treffend ‚mystisches Wunschdenken’ nannte und half mir, Praxis und Theorie zusammenzubringen. (...) Der Kampf mit dem Endziel der theologischen Tugenden wird so menschlich: er beginnt und endet mit Sportsgeist. Ich lernte, oft Stoßgebete einzustreuen, z. B. das dem seligen Josemaría so beliebte ‚nunc coepi’: Jetzt fange ich an.“

Darauf angesprochen, ob er Veränderungen in seinem Arbeitsrhythmus oder Tagesablauf festgestellt habe, erzählt Arnold als erstes, dass ihn die Warnung des seligen Josemaría vor einer „bourgeoisen Mentalität“, vor jeglicher Verspießerung, gleich begeistert habe. Als Künstler sei ihm natürlich ein Hang zur Bohème und zum Chaotischen vertraut. Der Schlachtruf der modernen Künstler „épater la bourgeoisie“ stecke auch ihm in den Knochen. Das Bemühen darum, bei aller Arbeit Zeit für das Gebet und ein Leben mit den Sakramenten zu finden und auch die Familie nicht zu vernachlässigen, habe aber seinen Arbeitsstil – oft bis spät in die Nacht – revolutioniert. Er habe einfach Ordnung in seinen Tagesablauf bringen müssen. Erste Frucht: ein Stunde mehr Schlaf. Laut Urteil seiner Frau sei er seitdem gar nicht mehr so grantig, sondern viel erträglicher geworden.

Richtig dankbar sei er dem seligen Josemaría dafür, sein Verständnis von beruflichem Prestige korrigiert zu haben. Richtig verstanden, „kommt das berufliche Prestige“, so Arnold, „endlich aus dem ätzenden Klima bloßer Eitelkeit heraus und findet seinen Platz als Anlass, Gott zu loben – und als Werkzeug des Apostolates. Durch den heiligen Josemaría habe ich berufliche Enttäuschungen und Niederlagen, ob nun selbstverschuldet oder nicht, richtig einordnen gelernt: zum einen als Herausforderung, besser zu werden. Vor allem aber lernte ich, auch in Niederlagen noch einen Beweis der Nähe und Zuneigung Jesu zu sehen, während ich früher nur Versagen und Widerspruch beklagte.“

Zu der so wichtigen Frage, wie mit eigenen Erfolgen – und eben auch Misserfolgen – umgehen, berichtet ganz ähnlich die junge Mailänder Pianistin Stefania Cafaro: „Der Geist des Opus Dei hat mich gelehrt, die Leidenschaft für den Beruf und gesunden Ehrgeiz damit zu vereinbaren, Gott in meinem Leben an die erste Stelle zu setzen.“ Die Nagelprobe sei der für den Solisten magische Augenblick, das Konzert. „Und da erlaubt mir der Applaus, dem Herrn zu sagen: ‚Dieser Applaus ist für dich, zu deiner Ehre: Danke, Herr!’ Vom seligen Josemaría habe ich gelernt, dass Demut nicht darin besteht zu sagen, ich spiele schlecht, vielmehr darin zu sagen: Danke, Herr, denn wenn ich gut spiele, dann deshalb, weil du mir dieses Talent gegeben und mir geholfen hast, es zu entfalten.“

Man nimmt es Stefania einfach ab, wenn sie sagt, dass ihr das auch eine vorher nicht gekannte Gelassenheit gibt. Sie arbeite einfach mit mehr Frieden und Freude. Und es habe ihre Musik für die anderen offener gemacht, sprich: ihre Sensibilität teile sich besser mit und es entstehe so etwas wie ein Dialog mit den Zuhörern. „Und ich habe gelernt“, fügt sie noch hinzu, „zu lächeln. Der Augenblick des Konzerts ist ein besonderer Augenblick. Da ist die Freude zu spielen und zugleich die Angst, und beide sind nicht zu trennen. An der Hand des seligen Josemaría habe ich gelernt, auch inmitten der Angst das Spielen zu genießen. Ich denke einfach, dass Jesus bei mir ist und mit mir spielt. Er bringt mich beim Spielen zum Lächeln, denn ich will mein Genießen ja zu den Hörern herüberbringen.“

III. Berufung zur Heiligkeit

Man stelle sich vor, hierzulande machten Tausende und Abertausende von gläubigen Christen, in gleich welchen Situationen und Berufen, plötzlich in dem Sinne ernst mit ihrem Glauben, dass sie – zu Hause, in der Werkstatt, im Geschäft, in der Schule, im Theater, in der Wissenschaft, in der Politik – bei allem, was sie tun, ob sie das nun gerade für wichtig halten oder für unwichtig, vor allem bestrebt sind, es aus Liebe zu Christus zu tun.

Wer würde nicht, wenn er stets Christus vor Augen hätte, erstens, fast alles besser tun? Und wäre nicht, zweitens, endlich auch die Trennung überwunden zwischen unserem Alltag und unserem Verhältnis zu Gott – und zwischen den verschiedenen „Rollen“, die wir auf der Bühne der Gesellschaft jeweils zu spielen haben? Der Schreinermeister Meyer, der Familienvater Meyer, der Kirchgänger Meyer und der Kommunalpolitiker Meyer wären endlich ein und derselbe Herr Meyer: Leben aus einem Guss. Das ist, etwas kurz und vereinfacht, die Kernbotschaft des heiligen Josemaría Escrivá und die raison d’être des Opus Dei.

In dieser verkürzten Antwort auf unsere Titelfrage „Was ist das Opus Dei?“ liegt allenfalls die Gefahr, die Berechtigung des Opus Dei vorschnell an Breitenwirkungen zu messen. Entscheidend ist, dass es mir hilft, meinen Alltag zu heiligen (wozu auch gehört, andere im Herzen mit der Liebe Christi anzurühren). Mir wurde häufiger die Frage gestellt, ob man dazu des Opus Dei bedürfe. Meine Antwort: Um als Weltchrist – ob als Laie oder als Weltpriester – den Alltag zu heiligen, muss man nicht im Opus Dei sein. Mir hat das Opus Dei aber entscheidend geholfen, die Herausforderung zu verstehen und anzupacken. Allerdings: Nun bietet uns Laien und den Weltpriestern Gott diese Hilfe in der Kirche an. Ob man sie annimmt oder ausschlägt, ist also auch keine ganz unerhebliche Frage.

Während seiner durchaus erfolgreichen Karriere liebäugelte der Burgschauspieler Michael König vor seiner Wiener Zeit mit den Ideologien der 1968er Bewegung: Materialismus, Klassenhass, radikale Emanzipation. Dann wachte er eines Tages auf vor den Ruinen eines totalitären Relativismus und der sinnlosen Beliebigkeit. Er fühlte sich erneut aufgerufen, sich „dem dreifaltigen Gott und der katholischen Kirche“ zuzuwenden.

„Zu dieser Entscheidung“, schreibt er, „fand ich gemeinsam mit meiner Frau. Die Umkehr wurde schon bald auf harte Proben gestellt durch das Verhalten von Zeitgenossen, für die ein papsttreuer Katholik ein gefährlicher Geisteskranker zu sein scheint. Ich wollte Ernstmachen mit meiner Taufberufung. Nach einigen Fehlversuchen stieß ich auf das Büchlein Der Weg von Josefmaria Escrivá. Ich hatte schon vorher über das ‚Opus Dei’ gelesen, angeregt durch das Magazin ‚Der Spiegel’. Dessen üppiger Hass brachte mich zu der Vermutung, es müsse sich hier um ein bemerkenswertes Phänomen handeln.“ König zitiert einige Stellen aus Der Weg, die ihn damals blitzartig berührt haben, und fährt fort: „Ich fühlte mich ‚ertappt’. Aber nicht im Sinne peinlicher Entlarvung, sondern im Sinne inständiger Aufforderung zur Umkehr zu christlicherem Leben. Tatsächlich: hier war eine klare, aus genauer Kenntnis der Möglichkeiten und Schwächen des Menschen fordernde, begeisternde Ansprache, die in die verborgensten Kavernen der Seele reichte mit ihrer unbändigen Liebe zu Gott und seinen Geschöpfen. Hier war ein Weg, die Einheit von Leben und Glauben mitten im Betrieb der Welt zu verwirklichen. ‚Alle anständigen Berufe’, schreibt der heilige Josefmaria, ‚können und sollen geheiligt werden’.“

Josemaría Escrivá warnte die Laienchristen vor einer Art Bewusstseinsspaltung oder Doppelleben – hier die ganz säkularisierte Welt des Berufs und der Gesellschaft, dort die Religion, begrenzt auf den Kirchenraum, und forderte sie auf, „das geistliche Leben zu materialisieren“. Hierauf Bezug nehmend, erinnert Nikolaus Lobkowicz, ehem. Präsident zuerst der Universität in München, dann in Eichstätt – selbst nicht Mitglied des Opus Dei –, daran, dass es nach den Texten des Neuen Testaments „auf dieser Welt nichts gibt, was durch die Menschwerdung des Logos und die Auferstehung Jesu nicht radikal verändert worden wäre.“

Escrivá denke vor allem an die Laien, so Lobkowicz weiter, und habe „die (von der Kirche freilich nie ausdrücklich bejahte) Tradition vor Augen, nach der man, wenn man Heiligkeit anstrebt, Priester wird oder in einen Orden eintritt. Danach könne der Laie, eben weil er ‚in der Welt’ bleibt, nicht mehr erreichen, als ein ‚anständiger’ Christ zu sein.“ Mit seiner Betonung, jeder Beruf, jede Tätigkeit, und in ihnen auch die unbedeutendste Kleinigkeit, seien Situationen, in denen Gott auf den Menschen wartet, wolle Escrivá die christlichen Laien mobilisieren mit dem Zuruf, auch sie seien zur Heiligkeit berufen. Das II. Vatikanische Konzil habe wohl kaum beabsichtigt, pointiert Lobkowicz, „die Laien dazu einzuladen, ständig um den Altar herumzuspringen und sich zudem in die Aufgaben der Bischöfe und der Priester einzumischen“. Die Bitte der Konzilsväter laute vielmehr. „Seid dort, wo ihr gerade steht, und zwar nicht nur am Sonntag, Christen im Vollsinn des Wortes – nehmt euren Beruf, euer Familienleben, alles, was ihr tut, als Aufgabe wahr, die der Herr euch aufgetragen hat. Und seid zugleich – in unaufdringlicher Weise – Apostel.“ (3)

Wie man in aller Unaufdringlichkeit den sich bietenden Gelegenheiten apostolische Chancen ablauschen kann, hat mich an den eher beiläufigen Erzählungen der jungen Pianistin Stefania Cafaro beeindruckt. Da hockt sie nach vier Ausleseproben mit zwei weiteren italienischen und zwei japanischen Pianistinnen vor dem entscheidenden Konzert in der Theaterrequisite zusammen. Fünf Rivalinnen. Keine sagt ein Wort. Da fällt ihr ein, dass sie einen Riegel Schokolade in der Tasche hat. Sie teilt auf und bietet an. Es folgt eine sympathische Unterhaltung – mit Humor und Lachen. Das Klima der Rivalität ist wie weggeblasen. Eine andere tüchtige junge Pianistin – aus Mailand wie sie – war schon vorher ausgeschieden. Stefania rief sie an, als sie auch wieder in Mailand zurück war. Einfach so. Die Kollegin war völlig überrascht. Die beiden trafen sich nun öfter und freundeten sich an. Sie sprachen über Musik – und dann auch über Gott. Hiermit habe die Freundin zunächst weniger anfangen können, aber nach und nach sei sie neugieriger geworden.

Noch eine Begegnung – in Siena. Für das Schlusskonzert einer Meisterklasse war die Auswahl auf sie gefallen war – gemeinsam mit einer armenischen Kollegin. Wenige Tage vor dem Konzert üben beide an zwei Klavieren. Die Armenierin hat den schlechteren Flügel erwischt. Sie spielen stundenlang. Irgendwann sagt Stefania: Komm, wir wechseln mal das Klavier. Nachher sagt ihr die orthodoxe Kollegin: Ich glaube, dass ich verstanden habe, was Katholischsein heißt.

IV. Freie Bürger; Handeln im eigenen Namen

Lobkowicz reibt sich übrigens an dem Ruf, das Opus Dei sei konservativ. „Sollte damit gemeint sein“, schreibt er, „Mitglieder des Werkes würden sich zu einer bedingungslosen Treue zur Kirche bekennen, so trifft diese Charakterisierung zwar zu. Es ist freilich schwer zu verstehen, warum diese Verhaltensweise als konservativ bezeichnet werden sollte. Die Treue eines Christen zum Glauben und der Lehre der Kirche ist ja weder konservativ noch progressiv, weder links- noch rechtslastig, sie ist zunächst einmal eine Treue zum menschgewordenen Logos, zu Jesus Christus. Dies als konservativ bezeichnen könnte im Grunde nur jemand, der Treue für ein rückständiges Verhalten hält.“ (4)

Dann wendet Lobkowicz den Begriff politisch und widerspricht seiner Anwendung auf das Opus Dei ebenso. Denn besonders nachdrücklich habe Escrivá bestanden auf der völligen Freiheit der Mitglieder des „Werkes“ wie überhaupt der Laien in allen beruflichen, gesellschaftlichen und politischen Fragen. Hierzu führt Lobkowicz eindeutige Aussagen des Gründers an, die bis in die Anfangszeit des Opus Dei zurückreichen. 1932: „Wir sind Bürger gleich den anderen: die gleichen Pflichten, die gleichen Rechte. – Politische Freiheit der Mitglieder, Männer wie Frauen. Deshalb Meinungsvielfalt im Menschlichen.“ (5) 1967: „Wir dürfen nie vergessen, dass – auch unter Katholiken – ein gesunder Pluralismus der Meinungen in allen Angelegenheiten, die Gott der freien Diskussion der Menschen überlassen hat, nicht nur mit der hierarchischen Ordnung und der notwendigen Einheit des Volkes Gottes völlig im Einklang steht, sondern sie sogar stärkt und vor Verfälschungen bewahrt.“ (6) Jede fundamentalistische Versuchung sei damit abgewehrt. Noch zugespitzter, auch gegen klerikalistische Bevormundung der Laien gewandt, 1968: „Eine der größten Gefahren, die die Kirche heute bedrohen, könnte darin bestehen, (die) göttliche Forderung der christlichen Freiheit nicht anzuerkennen und aus Gründen einer vermeintlich größeren Wirksamkeit den Christen eine weitgehende Gleichgestaltung aufzwingen zu wollen.“ (7)

Als freier Bürger des weltlichen Gemeinwesens soll sich der schon erwähnte Herr Meyer also die persönliche Verantwortung zumuten, die seine Freiheit nun einmal mit sich bringt – und sich, wo es für Religion oder Kirche einzustehen gilt, sich nicht hinter vermeintlichen „Profis“ verschanzen, sei es nun hinter seinem Pfarrer, den Bischöfen, dem Papst oder kirchlichen Institutionen, sondern sein Leben aus dem Glauben zuerst einmal – in Verantwortung vor Gott und der Kirche – als seine eigene Sache ansehen und in seinem eigenen Namen vertreten.

In diesem Zusammenhang ist es geradezu amüsant, wenn manche Kreise – auch katholische – der kirchlichen Personalprälatur Opus Dei vorhalten, sie verschanze oder verstecke sich hinter ihren Mitgliedern, tarne sich sozusagen mit deren Initiativen, die sie als Bürger ergreifen, weil diese gesellschaftlich im eigenen Namen auftreten und nicht als kirchliche Funktionäre. Aber mit der Zeit wird die Botschaft des II. Vatikanischen Konzils von der Berufung und Sendung der Laien doch noch durchsickern.

Bekanntlich wurde aber das Opus Dei öffentlich nicht nur mit dem Vorwurf des Geheimen konfrontiert, sondern auch noch mit einer ganzen Reihe anderer Verdächtigungen, auf die ich hier im einzelnen nicht eingehen kann. Als 1984 in einigen deutschen Medien, besonders im WDR, schon ein Jahr lang ein regelrechter Sturm der Kritik am Opus Dei tobte, sprach Kardinal Höffner öffentlich von „Kölner Opus-Dei-Hetze“ und erklärte: „Wenn ein neu in der Kirche entstandenes Werk nicht angegriffen wird, liegt die Vermutung nahe, dass dieses Werk nicht von Gott ist“ und fügte hinzu: „Durch seine parteiischen und gehässigen Sendungen gegen Opus Dei hat der Westdeutsche Rundfunk den Selig- und Heiligsprechungsprozeß des Gründers ungewollt gefördert.“ (8)

V. Was heißt Heiligkeit?

Seligsprechung, Heiligsprechung, Heiligung, Heiligkeit: Was heißt das alles überhaupt? Der heilige Paulus begrüßte noch alle Mitglieder der christlichen Gemeinden als „die Heiligen“. Der Begriff ist dann irgendwann aus dem Alltagsgebrauch verschwunden und in die Schauvitrine der guten Stube gestellt worden, neben andere seltene und außergewöhnliche Erinnerungsstücke. Kardinal Meisner sagte am 19. Januar im Kölner Dom, wir hätten Josemaría Escrivá die Wiederentdeckung zu verdanken, „dass Heiligkeit kein Privileg für besondere Gruppen in der Kirche ist, sondern die schlichte und selbstverständliche Berufung jedes Christen, ob im Kloster oder in der Welt.“ Sonst läge in der Kirche eine unerträgliche Diskriminierung vor. Es gebe aber in der Kirche keine Zweiklassengesellschaft.

Heiligsprechung: Natürlich wird da nicht jemand zum Heiligen „gemacht“. Es gibt sehr viel mehr Heilige als von der Kirche „heiliggesprochen“ werden. Die Heiligsprechung ist, genau genommen, die kirchliche Erlaubnis, dass ein Verstorbener, der von vielen Menschen bereits als Heiliger angesehen und verehrt wird, nun auch in der Kirche öffentlich als Heiliger verehrt werden darf. Heilige sind Vorbilder. Insofern ist es für eine Heiligsprechung nicht unerheblich, ob der Betreffende mit seinem Leben den heutigen und zukünftigen Zeitgenossen etwas aktuell Wichtiges zu sagen hat. Um beim Gründer des Opus zu bleiben: dass Escrivá nicht etwa nur den Angehörigen des Opus Dei, sondern allen Gläubigen der Kirche Wesentliches zu sagen hat. Beim Festgottesdienst zum 100. Geburtstag Escrivás im Kölner Dom am 19. Januar 2002 drückte es Kardinal Meisner so aus: „Der selige Josefmaria ist und bleibt der Gründer des Opus Dei, aber er gehört uns allen in der Kirche.“

Seligsprechung: Die Seligsprechung ist eine Etappe im langwierigen Verfahren bis zur Heiligsprechung. Einer Seligsprechung geht, sofern es sich nicht eindeutig um einen Märtyrer (Blutzeugen) handelt, ein strenges Prüfungsverfahren, der sogenannte Seligsprechungsprozess, voraus. Dieser ist ein ins einzelne des ganzen Lebens des Verstorbenen gehendes Prüfungsverfahren in der Form eines – stets jahrelangen – Gerichtsverfahrens. Zur Heiligsprechung eines Seligen ist dann noch Bedingung, dass seit der Seligsprechung mindestens ein Wunder geschieht (wissenschaftliche Prüfungskommission!), welches eindeutig der Fürsprache des Seligen zu verdanken ist (theologische Prüfungskommission!), und dass eine Kardinalskommission beide Ergebnisse billigt.

Apropos Prüfungsverfahren: Über einen Mangel an Prüfungen können wir uns in unserer Leistungsgesellschaft wahrhaftig nicht beklagen. Die Vorbilder der Leistungsgesellschaft sind Nobelpreisträger und Stars. Sie haben es – je auf ihrem Spezialgebiet – zu etwas gebracht. Sie heißen Einstein oder Kofi Anan, Steffi Graf oder Jan Ullrich, Gerhard Schröder oder Edmund Stoiber, Madonna oder Michael Jackson. Nichts gegen Leistungsprüfungen, bis hin zu politischen Wahlen. Aber es gibt keine Prüfungen auf richtiges Leben mehr in unserer Leistungsgesellschaft. Selbst in Schulzeugnissen wurden die sogenannten „Kopfnoten“ (z. B. für gutes Betragen) abgeschafft. Hingegen sind die Vorbilder der Christen die Heiligen. Nur sie werden noch – und nur – darauf geprüft, ob ihnen das Leben als solches gelungen ist. Das stetige Bemühen um ein objektiv – also vor Gott – gelingendes Leben, das ist mit Heiligkeit – und Heiligung des Alltags – gemeint.

VI. Und was heißt Heiligkeit praktisch?

Auf die Frage, was nun „Heiligung der (beruflichen) Arbeit“ oder „Heiligkeit im Alltag“ praktisch bedeutet, hat die Kirchenhistorikerin Elisabeth Reinhardt eine persönliche Antwort des heiligen Josemaría ausfindig gemacht: „Heiligkeit ist“, sagt Escrivá, „fortwährend gegen die eigenen Fehler zu kämpfen. Heiligkeit ist, die Pflicht jeden Augenblicks zu erfüllen, ohne sich Ausreden zu suchen. Heiligkeit ist, den anderen zu dienen, ohne irgendwelche Gegenleistungen zu erwarten. Heiligkeit ist, die Gegenwart Gottes zu suchen – den dauernden Umgang mit ihm – durch Gebet und Arbeit, die in einem beharrlichen Dialog mit dem Herrn verschmelzen. Heiligkeit ist die Sorge um die Seelen, die uns uns selbst vergessen lässt. Heiligkeit ist die positive Antwort jeden Augenblicks in unserer persönlichen Begegnung mit Gott.“ (9) Und das hat der heilige Josemaría Escrivá nicht nur gesagt. Er hat, wie sein Heiligsprechungsprozess bestätigt hat, auch so gelebt. Und das ist, wie sich versteht, die unschätzbare gelebte Botschaft, der das Opus Dei verpflichtet ist.

Papst Pius XII. nannte Escrivá schon zu Lebzeiten „einen wahren Heiligen, einen Mann, von Gott gesandt für unsere Zeit“ (10) und bahnte dem Opus Dei den Weg in die Weltkirche. Johannes XXIII. sah in seinem Werk „ganz unerwartete apostolische Perspektiven“ (11) für die Kirche. Nicht zuletzt war er beeindruckt von Escrivás ökumenischer Praxis, ins katholische Opus Dei als Mitarbeiter auch Nichtkatholiken und Nichtchristen aufzunehmen. Paul VI. bezeichnete Escrivás Botschaft, dass nicht nur einige wenige (etwa Priester und Ordensleute), sondern alle Menschen von Gott zur Heiligkeit berufen sind, als „den eigentlich spezifischen Teil der gesamten Lehraussage des Konzils und sozusagen dessen tiefstes Anliegen.“ (12) Auch Papst Johannes Paul I. würdigte schon, bevor er sein kurzes Pontifikat antrat, Escrivás Spiritualität als besonders den gläubigen Laien auf den Leib geschnitten. (13)

Papst Johannes Paul II. erhob Ende 1982 das Opus Dei – woraufhin in Deutschland 1983 jenes Medienspektakel losbrach – zur weltweiten „Personalprälatur“ (eine gänzlich neue Rechtsgestalt in der Struktur der katholischen Weltkirche, die erst durch das II. Vatikanische Konzil ermöglicht wurde). 1991 weihte er Alvaro del Portillo, den Nachfolger des Gründers in der Leitung des Opus Dei – und ersten Prälaten der Prälatur –, zum Bischof.

Der Wiener Kardinal König brachte zum Ausdruck, dass Escrivá mit dem Opus Dei, schon als er es im Jahre 1928 gründete, „vieles vorwegnahm, was mit dem II. Vatikanischen Konzil Allgemeingut der Kirche geworden ist.“14 Und in Köln erklärte Kardinal Höffner, Escrivás Werk sei „kirchengeschichtlich providentiell

und von einer heilenden Kraft, deren Wert kaum überschätzt werden kann.“ (15)

Eine Erfolgsgarantie gibt es im Bemühen um die Heiligung des Alltags nicht. Das ist aber kein Anlass zur Entmutigung. Wir sollen Gottes Gnade wirken lassen. Täglich neu. Unsere Aufgabe beschränkt sich darauf, Hindernisse auszuräumen, vor allem die unserer kleinen Eitelkeiten. Der Selige Josemaría vergleicht unseren Alltag mit einer Bootsfahrt: „Dein Boot: deine Fähigkeiten, deine Pläne, deine Erfolge – all das ist nichts nütze, es sei denn, du stellst es Christus zur Verfügung, du lässt ihn ungehindert einsteigen, du verzichtest darauf, aus deinem Nachen einen Götzen zu machen. Nur wenn du die Nähe des Herrn suchst und ihm das Steuer überlässt, wirst du die Stürme des Lebens heil überstehen.“

Sich einlassen auf den kleinen Heroismus in der Arbeit etwa, der unter anderem darin besteht, jede Aufgabe wirklich zu Ende zu bringen, wie es im Weg heißt: „Du willst wirklich heilig werden? – Erfülle die kleine Pflicht jeden Augenblicks! Tu das, was du sollst, und sei ganz in dem, was du tust“ (Nr. 815). Den geistlichen Impulsen des Opus Dei verdankt Stefania Cafaro nach ihren eigenen Worten Entscheidendes ihrer Karriere. Als sie vor vielen Jahren schon morgens beim Üben, so erzählte sie bei unserem workshop in Rom, mit einem schwierigen Stück ihre Probleme gehabt habe und, wie schon oft, dieses beiseite legen wollte, um es später aufzugreifen, sei ihr diese Stelle eingefallen. Und dann habe sie gedacht, sie könne doch jetzt dem Herrn hier und jetzt das kleine Opfer bringen, sich gleich morgens an diesem vertrackten Stück abzurackern. Und das habe sie dann getan – hartnäckig. Die Folge: Die Preisjury habe ihre Interpretation als die beste bewertet und vorgeschlagen, das Stück aufzunehmen.

Aber auch musikalisch verdanke sie den geistlichen Anregungen viel, nicht nur die Sorge um Ordnung, Harmonie, Form und Gleichgewicht, sondern auch, was die Tiefe der Interpretation angehe, beispielsweise den gestalterischen Einsatz der Pausen. „Das Schweigen ist wie die Wache am Tor des inneren Lebens“, heißt es im Weg (Nr. 281). Dass diese Bedeutung des Schweigens auch für die Musik gelte, hätten ihr Zuhörer immer wieder bestätigt. Nach einer Schubert-Interpretation sei besonders von den „sprechenden Pausen“ und ihrer Steigerung der Spannung und Tiefe die Rede gewesen. Und im Oktober 2000 habe es im Kommentar eines bekannten Klavier-Professors geheißen: „In dieser Pianistin findet sich ein spiritueller Reichtum, der unmöglich allein aus stundenlangem Üben herrührt.“

Schließlich berührt Stefania noch einen delikaten Punkt, der für erfolgsverwöhnte Künstler – und nicht nur Künstler – zur ständigen Versuchung werden kann. Lassen wir sie selbst berichten: „Meine Arbeit bedeutet auch viele Reisen, Aufenthalte in Hotels, Galadiners, Begegnungen mit hochgestellten Persönlichkeiten, usw. ... Aus der Lehre des heiligen Josemaría habe ich entnommen, dass es möglich ist, all dies auf eine christliche Art und Weise zu leben. Es ist möglich, im Hotelzimmer immer Ordnung zu halten; bei einem Gala-Diner nüchtern zu bleiben; die Armut zu leben, indem man den günstigsten Flugtarif wählt, auch wenn eine Agentur den Flug zahlt, zu Fuß zu gehen, wenn ein Taxi nicht unbedingt nötig ist.“

„Schließlich habe ich gelernt“, fügt Stefania noch hinzu, „der jeweiligen Gelegenheit angemessen auf Eleganz in der Kleidung und im Auftreten zu achten“. Gern wies der Selige Josemaría daraufhin, dass unser Herr auch Wert legte auf den angemessen feinfühligen, eleganten Umgang miteinander. So im Hause des Simon, dem er Versäumnisse der Gastfreundschaft vorhält (Lk 7, 44 ff.). Und um seinen Leibrock würfeln sogar die römischen Soldaten, weil sie ihn für zu gut hielten, um ihn zu teilen (Joh. 23 f.). „Es hat mich stets beeindruckt“, so Stefania, „wenn der Gründer des Opus Dei die Eleganz unseres Herrn zur Sprache brachte und den Christen ans Herz legte, Jesus auch darin zu folgen.“

Anmerkungen

1) Artistic Creativity, Preparatory Papers of the Workshop, Hsrg. v. Lindenthal-Institut Köln u. Fundación Promoción de la Cultura Madrid, Pontificia Universidad della Santa Croce, Piazza di Sant’Apollinare 43, 00186 Roma, 2002 (Im weiteren Text referierte Beiträge der Künstler A.Zorin, A.Shives und St.Cafaro sind hier veröffentlicht).

2) J. Escrivá, Freunde Gottes, 2. Aufl. Köln 1980 (Adamas), RdNr. 65.

3) N. Lobkowicz, Kultur – Christentum – Pluralismus: die Mobilisierung der Laien, in: Cesar Ortiz (Hrsg), Josemaría Escrivá – Profile einer Gründergestalt, Köln 2002 (Adamas), 347-363, hier: 354 f.

4) Ebd., 350.

5) Ebd., 350: aus den Persönlichen Aufzeichnungen Escrivás, Nr. 158, zit. nach A. de Fuenmayor / V. Gómez-Iglesias / J.L.Illanes, Die Prälatur Opus Dei. Zur Rechtsgeschichte eines Charismas, Essen 1994, 34. In einem Brief von 1932 heißt es: „Das Werk steht für überhaupt keine Politik: dazu ist es nicht da. Unser Ziel ist ausschließlich spirituell und apostolisch... Uns eint nur ein geistiges Band“.

6) Ebd. 351: zit. aus Gespräche mit Msgr. Escrivá, 4. Aufl. Köln 1992 (Adamas), RdNr. 12.

7) Ebd. 352: zit. aus Gespräche..., RdNr. 15.

8) Joseph Kardinal Höffner, Interview mit KNA v. 24.08. u. Nachtrag v. 30.08.1984.

9) E. Reinhardt, Wo Himmel und Erde sich vereinen, in: Cesar Ortiz (Hrsg), Josemaría Escrivá – Profile einer Gründergestalt, Köln 2002 (Adamas), 141-157, hier: 142 f.; zit. nach Salvador Bernal, Memoria del Beato Josemaría Escrivá de Balaguer, Madrid 1999, 16.

10) Alvaro del Portillo, Über den Gründer des Opus Dei, Köln 1996 (Adamas), 13.

11) Ebd., 15.

12) Paul VI., Motu proprio Sanctitatis Clarior, 09.03.1969, AAS 61 (1969), 149-150.

13) Albino Luciani, Cercando Dio nel lavoro quotidiano, in: Gazettino di Venezia v. 25.07.1978.

14) Kardinal Franz König, Über das Opus Dei, Schriftenreihe der Karlskirche Heft 2, Wien 1989, 4.

15) Ambosius Eßer OP, Wenn alles zur Freude wird, in: Notizen, Zeitung zur Seligsprechung des Opus-Dei-Gründers Josemaría Escrivá, Mai 1992, S. 8 (Pater A. Eßer OP ist Generalrelator der römischen Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungen und war

zuständiger Relator im Kanonisationsverfahren von Josemaría Escrivá).

Dr. Hans Thomas leitet das Lindenthal-Institut in Köln.