Vor 50 Jahren begannen die Frauen in Deutschland

Vor genau 50 Jahren, am 12. Oktober 1956, kurz vor 7 Uhr morgens stiegen zwei junge spanische Frauen aus dem Zug, der sie von Rom nach Köln gebracht hatte. Sie kamen mit leichten Koffern, aber mit dem Segen des heiligen Josefmaria, der zwei Tage zuvor mit ihnen gesprochen und ihnen außer seinem Segen ein begeisterndes Panorama mit auf den Weg hatte geben wollen. „Deutschland wird uns viele schöne Überraschungen bringen“, hatte er unter anderem gesagt.

Eine der Frauen, die am 12. Oktober in Köln ausstiegen, lebt heute noch in Köln. Sie hat mit eigenen Augen sehen können, wie im Laufe dieser 50 Jahre die „große Blüte in Deutschland“, die der heilige Josefmaria ihnen am 22. August 1957 persönlich versprochen hatte, auf dem Fundament ihres Einsatzes Wirklichkeit geworden ist.

Sie selbst erzählt von diesen Anfängen:

Am 10. Oktober 1956 hatte ich in Rom eine Begegnung mit dem seligen Josemaría Escrivá, die mein weiteres Leben entscheidend beeinflußt hat: Er gab mir und zwei weiteren jungen Spanierinnen den Reisesegen für die Fahrt nach Deutschland, das mir zur zweiten Heimat werden sollte. Wir sollten die apostolische Arbeit im ersten deutschen Zentrum der Frauen des Opus Dei beginnen.

Der selige Josemaría war 1949 selbst in Deutschland gewesen, hatte die Folgen des Krieges noch deutlich sehen können und bereitete uns ein wenig auf die Lage dort vor. Er sprach vom Krieg als einer der schrecklichsten Geißeln der Menschheit.

Ich erfuhr auch bei dieser Gelegenheit, wie sehr unser Gründer – wir nennen ihn unseren Vater – sich in unsere Lage versetzte. Zunächst ermutigte er uns, Deutsch zu lernen, denn nur eine von uns beherrschte die Sprache ein wenig. Wenn wir eines Tages plötzlich meinten, wieder alles vergessen zu haben, dann sollten wir nur darüber lachen, denn dieser Eindruck ändere sich schnell wieder. Sein großes Herz wurde auch spürbar, als wir mit ihm über die geplante Einrichtung eines kleinen Studentinnenheims sprachen. Es gab kein Geld. Auch in anderen Ländern hatten Frauen des Werkes schon mit der Arbeit begonnen, ohne mit irgendwelchen Mitteln rechnen zu können. Dies bedrückte den Vater. Er müsse uns ohne einen Pfennig gehen lassen, und wir könnten uns nicht vorstellen, wie schwer ihm das fiele. Er würde viel für uns beten, davon hätten wir dann noch mehr als vom Geld.

Er gab uns seinen Segen und schrieb jeder von uns ein Stoßgebet in den Taschenkalender. Mehr konnte er uns zu seinem Leidwesen nicht mitgeben. Wir aber waren glücklich, weil sein Glaube an die Vorsehung Gottes uns stärkte und das Vertrauen, das er in uns setzte, uns froh machte. Immer hat er uns gezeigt, daß die übernatürlichen Mittel, allen voran das Gebet, den Vorrang vor den natürlichen haben, auch in Situationen, in denen man alles im Griff zu haben glaubt.

Am nächsten Tag fuhren wir von Rom ab und kamen nach einer zwanzigstündigen Zugfahrt am 12. Oktober in Köln an. Der Hauptbahnhof war noch im Wiederaufbau, der Dom erst seit kurzem wieder eröffnet. Wie froh waren wir, daß es schon seit geraumer Zeit ein paar deutsche Mitglieder des Opus Dei gab, und so erwartete uns ein halbes Dutzend Frauen auf dem Bahnsteig, mit deren Hilfe wir von Anfang an rechnen konnten.

Unsere Wohnung lag in der Hülchrather Straße 6, wo wir in zwei Etagen das kleine Studentinnenheim einrichten wollten. Es dauerte mehrere Monate, bis wir die Renovierungsarbeiten einigermaßen abgeschlossen hatten. Im Sommersemester 1957 zogen die ersten Studentinnen ein. Und schon im August desselben Jahres kam uns der selige Josemaría besuchen.

Am 22. August 1957 kam er nach »Eigelstein«, wie wir das Studentinnenheim genannt hatten. Von dieser Begegnung ist mir besonders haften geblieben, daß der selige Josemaría durch und durch Vater war. Wir hatten das Studentinnenheim nur dürftig einrichten können, doch er lobte unseren Einsatz sehr. Er vergewisserte sich, daß wir genügende Stunden schliefen und zufrieden waren. Er bemerkte sofort, daß zwei von uns, Carmen Mouriz und Pelancho Gaona, etwas müde aussahen, und veranlaßte, daß sie sich später einige Wochen in Rom erholen konnten.

Zu seiner väterlichen Sorge gehört auch die Geschichte mit der Waschmaschine. Wir hatten ihm erzählt, wie hilfsbereit unsere Hausbesitzerin sei. Sie stelle uns wöchentlich ihre tragbare Waschmaschine zur Verfügung, weil wir im Studentinnenheim die Wäsche von zwanzig Personen zu waschen hatten und keine Maschine besaßen. Der selige Josemaría sagte nichts dazu. Kurz nachdem er das Haus verlassen hatte, rief er an und kündigte die Lieferung einer Miele-Waschmaschine an. Die Maschine wurde am nächsten Tag geliefert, dazu eine Schleuder und ein Wäschewagen aus Zink! Unser Vater wollte uns die materielle Arbeit immer weitmöglichst erleichtern, damit wir mehr Zeit für Apostolat, Erholung und Weiterbildung hätten.

Zwei Tage später, am 24. August 1957, feierte er die Hl. Messe in der Kapelle des Studentinnenheims und traf sich dann mit uns allen zu einem unvergeßlichen Beisammensein im Studienraum. Ein Beisammensein mit dem seligen Josemaría war keine Predigt, keine Vorlesung, sondern ein ungezwungenes, familiäres Treffen. Wir profitierten immer davon, stellten Fragen oder erzählten ihm von unserer Familie, vom Freundeskreis, von der Arbeit – manchmal auch Witze. Wir konnten alles sagen, was uns in den Sinn kam, wir fühlten uns einfach zu Hause. Der Vater antwortete auf unsere Fragen, reagierte spontan, oft humorvoll.

Er sagte, daß das Heil vieler Menschen von unserer Treue im Alltag abhinge. Ein wichtiges Stichwort war: »Schritt halten mit Gott«. Er bezog das in zwei Richtungen, nämlich Warten und Vorwärtsgehen. Auf der einen Seite sollten wir Geduld haben, wenn wir noch keine sichtbaren Ergebnisse im Apostolat erzielt hätten. Jetzt sei es Zeit, den Acker zu bestellen, warten zu lernen.

Man könne die Früchte noch nicht sehen, aber sie würden sicher kommen, er sehe sie schon voraus. Und gleich darauf das Schritthalten in die andere Richtung: Wir sollten ein neues Studentinnenheim bauen. Die Kühnheit seines Glaubens verblüffte uns, konnten wir zu dem Zeitpunkt doch kaum die Miete für die beiden Etagen bezahlen! »Bei apostolischen Unternehmungen empfiehlt es sich, ist es sogar Pflicht, deine irdischen Hilfsmittel nüchtern einzuschätzen: 2 + 2 = 4. Aber vergiß nicht, niemals, daß du glücklicherweise noch mit einem weiteren Posten rechnen mußt: Gott + 2 + 2 ...« (Der Weg, 471).

Ich habe an ihm gesehen, wie gesunder Menschenverstand und tiefer Glaube zusammenwirken können. Wir lernten von ihm, die anstehenden Aufgaben aus dem Glauben heraus optimistisch und zuversichtlich anzugehen, dabei aber auch nüchtern und realistisch zu bleiben. Bei seinem letzten Besuch in Deutschland, am 4. Mai 1960, erklärte ihm Edith Gunz, daß sie bereit sei, mit der Arbeit des Opus Dei in Rußland zu beginnen. Er dankte ihr dafür, gab uns aber auch zu bedenken, daß erst ein Minimum an Freiheit gewährleistet sein müsse, damit wir unsere apostolischen Aufgaben erfüllen könnten.

Von Anfang an haben uns Worte und Ratschläge des Gründers in unserer apostolischen Arbeit immer die entscheidende Richtung gewiesen.

Zu Beginn gab es kein einziges Buch des seligen Josemaría auf Deutsch. Bei seinen Besuchen hier verfügten wir über kein Tonbandgerät. Jede schrieb sich persönlich auf, was er uns gesagt hatte. Danach verglichen wir unsere Notizen und ergänzten sie gegebenenfalls, so daß wir strenggenommen keine wörtlichen Zitate, wohl aber viele seiner Worte im Kern bewahrt haben und immer wieder daraus Kraft schöpften.

Heute blicke ich auf fast fünfzig Jahre meines Lebens im Opus Dei zurück. Manche Begegnungen mit dem seligen Josemaría erlebe ich wieder nach, viele Worte höre ich erneut oder manchmal sogar wie neu, weil ich sie tiefer verstehen gelernt habe.

Bei diesem Rückblick habe ich nur kurz auf den Beginn der Arbeit in Deutschland geschaut, bei dem ich mitarbeiten durfte. Ich bin dankbar dafür. Der selige Josemaría sagte gern: »Soñad y os quedaréis cortos«, was soviel heißt wie: »Eure kühnsten Träume werden von der Wirklichkeit noch übertroffen werden«. Er hat recht behalten. Von einem kleinen Studentinnenheim in Köln ist die apostolische Arbeit heute bis in die wichtigsten Städte unseres Landes gelangt.

Wenn ich nun sehe, wie das Apostolat des Werkes im Dienst für die Kirche in Deutschland trotz mancher Schwierigkeiten gegenwärtig gewachsen ist, denke ich an die Zukunft und mache mir die Worte Papst Johannes Pauls II. in seinem Schreiben Novo Millennio ineunte (Nr. 1) zu eigen: »... dankbar der Vergangenheit zu gedenken, leidenschaftlich die Gegenwart zu leben und uns vertrauensvoll der Zukunft zu öffnen.«

Ana M. Quintana

Den Kopf im Himmel

und die Füße fest auf der Erde, entnommen aus dem Buch: Josemaría Escrivá - Profile einer Gründergestalt, César Ortiz (Hrsg.), Adamas Köln 2002